Tagebuch eines Vampirs 7 - Schwarze Mitternacht
verloren hatte. Kein
körperlicher Schmerz konnte ausdrücken, wie sie sich
fühlte.
Die gewaltigen Wurzeln im Boden unter ihnen bäumten
sich auf, als kämpften sie gegen ein Erdbeben an, und
dann …
Es folgte ein ohrenbetäubendes Krachen, als der Stamm
des Großen Baums wie eine Rakete direkt nach oben
explodierte und dabei zu feiner Asche zerfiel. Die
Spinnenbeinäste um sie herum lösten sich einfach
zusammen mit dem Baldachin über ihnen auf. Etwas in
Elenas Geist bemerkte, dass die Zerstörung auch in sehr
weiter Ferne um sich griff und auf ihrem Weg mit rasender
Geschwindigkeit Äste und Laub in unendlich kleine Partikel
verwandelte, bis von dem Organismus nur noch ein Nebel
übrig war.
»Die Sternenkugel!«, rief Bonnie gequält in das
unheimliche Schweigen hinein.
»Sie ist atomisiert!« Stefano fing Elena auf, als sie auf die
Knie sank und ihre ätherischen schwarzen Flügel
verblassten. »Aber wir hätten sie ohnehin niemals
bekommen. Dieser Baum hat sie seit Tausenden von
Jahren beschützt! Al es, was wir bekommen hätten, wäre
ein langsamer Tod gewesen.«
Elena hatte sich wieder zu Damon umgedreht. Sie hatte
den Pflock in seinem Oberkörper nicht berührt – binnen
Sekunden würde er das Einzige sein, was von dem Baum
auf dieser Welt übrig war. Sie wagte es kaum zu hoffen,
dass noch ein Lebensfunke in ihm glühte, aber das Kind
hatte noch etwas sagen wol en und sie würde ihm das
ermöglichen oder bei dem Versuch sterben. Sie spürte
Stefanos Arme kaum, die sie umfangen hielten.
Einmal mehr stürzte sie sich in die Tiefen von Damons
Geist. Diesmal wusste sie genau, wohin sie gehen musste.
Und dort war er noch, wie durch ein Wunder, obwohl er
offensichtlich grauenvol e Schmerzen litt. Tränen strömten
ihm über die Wangen, und er versuchte, nicht zu
schluchzen. Seine Lippen waren blutig gebissen. Ihre
Flügel hatten das Holz in ihm nicht zerstören können – es
hatte seinen giftigen Schaden bereits angerichtet –, und es
gab keine Möglichkeit, das zu ändern.
»Oh nein, oh Gott!« Elena umfasste das Kind mit beiden
Armen. Eine Träne fiel ihr auf die Hand. Sie wiegte den
Jungen hin und her und wusste kaum, was sie sagte. »Was
kann ich tun, um dir zu helfen?«
»Du bist wieder da«, erwiderte er, und in seiner Stimme h?
rte sie die Antwort. Das war al es, was er wol te. Er war ein
sehr einfaches Kind.
»Ich werde hier sein – immer. Immer. Ich werde dich
niemals loslassen.«
Das hatte nicht die Wirkung, die sie erzielen wol te. Der
Junge keuchte auf, versuchte zu lächeln, wurde aber von
einem furchtbaren Krampf zerrissen, der ihn beinahe aus
ihren Armen katapultiert hätte.
Und Elena begriff, dass sie das Unausweichliche zu einer
langsamen, quälenden Folter machte.
»Ich werde dich festhalten«, modifizierte sie ihre Worte für
ihn, »bis du wil st, dass ich loslasse. In Ordnung?«
Er nickte. Seine Stimme war atemlos vor Schmerz.
»Könntest du – könntest du mir erlauben, die Augen zu
schließen? Nur … nur für einen Moment?«
Elena wusste – was dieses Kind viel eicht nicht wusste –,
was geschehen würde, wenn sie es schlafen ließ. Aber sie
konnte es nicht ertragen, den Jungen noch länger leiden zu
sehen. Und abermals war nichts anderes real, und es gab
niemanden sonst auf der Welt für sie, und es kümmerte sie
nicht einmal, ob sie ihm in den Tod folgen würde.
Bedächtig und um eine feste Stimme bemüht, sagte sie:
»Viel eicht … können wir beide die Augen schließen. Nicht
lange – nein! Aber … nur für einen Moment.«
Sie wiegte den kleinen Körper weiter in den Armen. Sie
konnte einen schwachen Puls des Lebens spüren …
keinen Herzschlag, aber trotzdem, einen Puls. Sie wusste,
dass er die Augen noch nicht geschlossen hatte; dass er
noch immer gegen die Folter ankämpfte.
Für sie. Nicht für irgendetwas sonst. Nur für sie.
Sie hielt die Lippen dicht an sein Ohr und flüsterte: »Lass
uns zusammen die Augen schließen, in Ordnung? Lass sie
uns schließen … auf drei. Ist das in Ordnung?«
In seiner Stimme war solche Erleichterung und solche
Liebe. »Ja. Zusammen. Ich bin bereit. Du kannst jetzt
zählen. «
»Eins.« Nichts zählte, außer dass sie ihn in den Armen hielt
und sich um Fassung bemühte. »Zwei. Und …«
»Elena?«
Sie war verblüfft. Hatte das Kind je zuvor ihren Namen
ausgesprochen?
»Ja, Schätzchen?«
»Elena … ich … liebe dich. Nicht nur seinetwegen.
Weitere Kostenlose Bücher