Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
hinüber.
Mrs Flowers stand am Rand der Kreidelinien, die Hände in die Hüften
gestemmt, die Füße fest auf dem Boden. Ihre Lippen waren eine gerade,
dünne Linie, aber ihre Augen waren klar und nachdenklich. Sie hielt Elen-
as Blick fest, und Elena fühlte sich beruhigt und gestärkt. Dann sah Mrs
Flowers die anderen an, die um sie herum versammelt waren.
»Wir müssen den Bannzauber jetzt wirken«, erklärte sie. »Bevor es dem
Phantom gelingt, uns alle zu zerstören. Elena! Kannst du mich hören?«
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Ein gewaltiges Gefühl der Entschlossenheit durchströmte sie, und Elena
nickte und ging auf die anderen zu.
Mrs Flowers klatschte scharf in die Hände, und die Luft kräuselte sich
abermals. Das Phantom kreischte vor Zorn und schlug in die Luft. Doch
seine Hände trafen jetzt schneller auf Widerstand, und sein unsichtbares
Gefängnis wurde immer kleiner.
Meredith tastete hektisch das hohe Regal in der Nähe des Garagentors ab.
Wohin hatte Mrs Flowers die Kerzen gelegt? Farbpinsel, nein. Taschen-
lampen, nein. Eine uralte Dose mit Käferspray. Nein. Ein Beutel Pflan-
zerde, nein. Irgendein komisches Metallding, von dem sie nicht
herausfinden konnte, was es sein mochte. Nein.
Eine Tüte mit Kerzen. Ja.
»Ich hab sie«, rief sie und zog die Tüte herunter – und mit ihr jede
Menge Staub, der sich über die Jahre auf dem Regal angesammelt hatte
und jetzt um ihren Kopf herumwirbelte. »Uh«, pustete sie.
Ihr Kopf und ihre Schultern waren mit einer dicken Schicht aus Staub
und Spinnweben bedeckt. Aber wie ernst die Situation war, zeigte sich
auch daran, dachte Meredith, dass Bonnie und Elena sie beide ansahen
und keins der Mädchen kicherte oder Anstalten machte, sie abzuklopfen.
Sie alle hatten wichtigere Sorgen als ein wenig Dreck.
»Okay«, erklärte sie. »Zuerst müssen wir herausfinden, welche Farbe
Damons Kerze haben würde.« Mrs Flowers hatte darauf hingewiesen, dass
Damon offensichtlich ebenfalls ein Opfer des Eifersuchtsphantoms war.
Auch er musste also eine Rolle in dem Bannzauber spielen, damit er
richtig funktionierte.
Meredith betrachtete die beiden Vampirbrüder, die immer noch ver-
suchten, einander in Stücke zu reißen, und sie bezweifelte ernsthaft, dass
Damon an dem Ritual teilnehmen würde. Aber in dieser Hinsicht galt für
Stefano wohl das Gleiche. Sie waren ausschließlich darauf konzentriert,
einander so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Trotzdem würden sie die
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beiden Vampire irgendwie zurückholen müssen, damit der Zauber
funktionierte.
Meredith fragte sich kühl, was geschehen würde, wenn sowohl Stefano als
auch Damon starben. Würden sie dann einfach aus der Rechnung heraus-
fallen? Würden die anderen dann noch in der Lage sein, das Phantom zu
besiegen? Und wenn sie einander nicht umbrachten, sondern immer weit-
erkämpften und sie alle in Gefahr brachten, würde sie dann in der Lage
sein, die beiden zu töten? Sie stieß den Gedanken von sich. Stefano war ihr
Freund.
Doch dann zwang sie sich entschlossen, noch einmal darüber
nachzudenken. Ihn zu töten, war in diesem Fall ihre Pflicht. Es war wichti-
ger als Freundschaft; es musste sein.
Ja, sie könnte ihn heute töten, sogar in den nächsten Minuten, wenn es
sein musste, begriff sie. Sie würde es für immer bedauern, aber sie würde
es tun.
Allerdings, so bemerkte ein Teil ihres Verstandes kalt, wenn Damon und
Stefano so weitermachten wie jetzt, würden sie einander definitiv umbrin-
gen und ihr damit diese Bürde ersparen.
Elena hatte eindringlich nachgedacht – oder sich mit dem beschäftigt,
was das Eifersuchtsphantom zu ihr gesagt hatte, da war Meredith sich
nicht ganz sicher –, und jetzt sprach sie. »Rot«, erklärte sie. »Ist in der
Tüte eine rote Kerze für Damon?«
Es fand sich tatsächlich eine dunkelrote Kerze, und außerdem eine
schwarze. Meredith zeigte sie Elena.
»Rot«, wiederholte Elena.
»Für Blut?«, fragte Meredith und beäugte die beiden Kämpfer, die jetzt
nur noch gut drei Meter entfernt waren. Gott, sie waren inzwischen beide
mit Blut getränkt. Im nächsten Moment knurrte Damon wie ein Tier und
schlug Stefanos Kopf mehrmals gegen die Wand der Garage. Stefanos
Schädel krachte gegen Holz und Gips und Meredith zuckte angesichts des
hohlen Geräuschs zusammen. Damon hatte eine Hand um Stefanos Hals
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gelegt und zerrte mit der anderen an Stefanos Brust, als wolle er ihm das
Herz herausreißen.
Das Phantom
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