Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
wollte sie in die Arme nehmen und trösten
– und sah, dass sie ihn vergessen hatte. Ihre Augen waren geschlossen,
ihre Lippen bewegten sich lautlos. All ihre Muskeln waren angespannt
und Stefano begriff mit dumpfem Erschrecken, dass sie und Damon im-
mer noch miteinander verbunden waren, dass sie auf irgendeine Weise,
die ihn ausschloss, ein letztes Gespräch führten.
Ihr Gesicht war nass von Tränen, und plötzlich tastete sie nach ihrem
Messer, um sich mit einer einzigen schnellen, sicheren Bewegung ihre
Schlagader aufzuritzen und Blut von ihrem Hals fließen zu lassen.
»Trink, Damon«, sagte sie mit einer verzweifelten Stimme, als betete sie,
während sie mit den Händen seinen Mund aufstemmte und ihren Hals
darüber hielt.
Der Geruch von Elenas Blut war voll und würzig, und Stefanos Eck-
zähne juckten vor Verlangen, trotz seines Entsetzens über die
Achtlosigkeit, mit der sie sich selbst die Kehle aufgeschnitten hatte. Da-
mon trank nicht. Das Blut floss aus seinem Mund und an seinem Hals
hinunter, durchnässte sein Hemd und sammelte sich auf seiner schwar-
zen Lederjacke.
Elena schluchzte, warf sich über Damon und küsste seine kalten Lip-
pen, die Augen fest zusammengepresst. Stefano konnte erkennen, dass sie
immer noch mit Damons Geist in Verbindung stand, ein telepathischer
Austausch von Liebe und Geheimnissen, die nur sie beide kannten – jene
beiden auf der Welt, die er am meisten liebte. Die Einzigen, die er liebte.
Ein Stich des Neids, das Gefühl, nur beobachtender Außenseiter zu sein,
derjenige, der ganz allein zurückblieb, durchzuckte Stefano, noch
während ihm Tränen der Trauer übers Gesicht strömten.
Ein Telefon klingelte und riss Stefano jäh in die Gegenwart zurück.
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Elena warf einen Blick auf ihr Handy, dann nahm sie den Anruf entge-
gen: »Hallo, Tante Judith.« Sie hielt inne. »Zusammen mit allen anderen
in der Pension. Wir haben Alaric und seine Kollegin vom Zug abgeholt.«
Eine weitere Pause, dann verzog sie das Gesicht. »Tut mir leid, das hatte
ich ganz vergessen. Ja. Mache ich. In ein paar Minuten, in Ordnung? Okay.
Auf Wiedersehen.«
Sie legte auf und erhob sich. »Anscheinend habe ich Tante Judith ir-
gendwann versprochen, dass ich heute Abend zum Essen zu Hause sein
würde. Robert holt bereits das Fondue-Set heraus, und Margaret will, dass
ich ihr zeige, wie man Brot in Käse tunkt.« Sie verdrehte die Augen, aber
Stefano ließ sich nicht täuschen. Er konnte sehen, wie entzückt Elena
darüber war, für ihre kleine Schwester ein Idol zu sein.
Elena sprach stirnrunzelnd weiter. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich
heute Abend noch mal aus dem Haus komme, aber irgendjemand muss
ständig bei Meredith sein. Kannst du heute Nacht hierbleiben, Meredith,
statt nach Hause zu fahren?«
Meredith nickte langsam; sie hatte auf dem Sofa ihre langen Beine unter
sich gezogen. Sie wirkte müde und ängstlich, trotz ihrer vorangegangenen
mutigen Worte. Elena berührte zum Abschied ihre Hand, und Meredith
lächelte sie an. »Ich bin mir sicher, dass Eure Diener sich gut um mich
kümmern werden, Königin Elena«, sagte sie leichthin.
»Nichts Geringeres würde ich erwarten«, antwortete Elena im gleichen
Tonfall und lächelte die übrigen Personen im Raum an.
Stefano stand auf. »Ich werde dich begleiten«, sagte er.
Matt erhob sich ebenfalls. »Ich kann dich fahren«, bot er an – und Ste-
fano war selbst überrascht von dem Drang, Matt wieder auf seinen Stuhl
zu stoßen. Er, Stefano, würde sich um Elena kümmern. Er war für sie
verantwortlich.
»Nein, ihr bleibt hier, alle beide«, sagte Elena entschieden. »Es ist ja
nicht weit, und draußen ist noch immer heller Tag. Ihr kümmert euch um
Meredith.«
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Stefano ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und beäugte Matt.
Elena war winkend verschwunden, und Stefano streckte seine Sinne aus,
um ihr so weit wie möglich zu folgen und zu prüfen, ob etwas Gefährliches
oder überhaupt irgendetwas in der Nähe lauerte. Aber seine Kräfte waren
nicht stark genug, um Elena auf dem ganzen Weg bis nach Hause zu beg-
leiten. Frustriert ballte er die Fäuste. Er war so viel mächtiger gewesen, als
er sich gestattet hatte, menschliches Blut zu trinken.
Meredith beobachtete ihn mit einem mitfühlenden Ausdruck in den
grauen Augen. »Ihr wird schon nichts passieren«, sagte sie. »Du kannst
nicht ständig über sie wachen.«
Aber ich kann es versuchen, dachte
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