Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
Stefano.
Als Elena die Auffahrt zu ihrem Elternhaus hinaufschlenderte, knipste
Caleb gerade einige Blätter aus den blühenden Kamelienbüschen vor dem
Haus.
»Hey«, rief sie überrascht. »Bist du den ganzen Tag hier gewesen?«
Er hielt in der Arbeit inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Mit seinem blonden Haar und der gesunden Bräune sah er aus wie ein
kalifornischer Surfer, der versehentlich hierher nach Virginia gebeamt
worden war. Sogar der Tag selbst passte irgendwie zu Caleb, dachte Elena:
ein perfekter Sommertag, in der Ferne summte ein Rasenmäher, und der
Himmel über ihnen war strahlend blau.
»Sicher«, antwortete er gut gelaunt. »Jede Menge Arbeit. Aber es lohnt
sich doch, oder?«
»In der Tat«, erwiderte sie. Er hatte recht. Das Gras war gemäht, die
Hecken waren perfekt gestutzt und die Blumenbeete herrlich bepflanzt.
»Was hast du denn heute so getrieben?«, fragte Caleb.
»Nichts, was mir auch nur annähernd so viel Energie abverlangt hätte
wie das alles hier«, erwiderte Elena und unterdrückte die Erinnerung an
den verzweifelten Wettlauf um Sabrinas Leben. »Meine Freunde und ich
haben zwei Bekannte vom Bahnhof abgeholt und den Rest des Tages im
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Haus verbracht. Aber ich hoffe, das Wetter bleibt so schön. Wir wollen
morgen in Hot Springs picknicken.«
»Klingt gut«, sagte Caleb fröhlich. Für einen Moment fühlte Elena sich
versucht, ihn einzuladen. Trotz Stefanos Vorbehalten schien er ein netter
Kerl zu sein, und wahrscheinlich kannte er nicht viele Leute in der Stadt.
Vielleicht würde Bonnie auf ihn abfahren. Er war schließlich ziemlich sch-
nuckelig. Und es war schon eine ganze Weile her, dass Bonnie sich für je-
manden wirklich interessiert hatte. Für jemand anderen als Damon,
flüsterte eine geheime kleine Stimme in ihrem Hinterkopf.
Aber natürlich konnte sie Caleb nicht einladen. Was dachte sie sich nur?
Sie und ihre Freunde konnten unmöglich irgendwelche Fremde um sich
haben, während sie darüber sprachen, welches übernatürliche Wesen es
jetzt wieder auf sie abgesehen hatte.
Ein kleiner Stich der Sehnsucht durchzuckte sie. Würde sie überhaupt
jemals wieder ein Mädchen sein können, das Picknick machte und
schwimmen ging und flirtete, ein Mädchen, das mit jedem redete, mit dem
es reden wollte, weil es keine dunklen Geheimnisse zu verbergen hatte?
»Bist du nicht müde?«, wechselte sie schnell das Thema.
Sie glaubte, ein Flackern der Enttäuschung in seinen Augen zu sehen.
Hatte er etwa bemerkt, dass sie darüber nachgedacht hatte, ihn zu dem
Picknick einzuladen? Aber er antwortete immer noch fröhlich. »Oh, deine
Tante hat mir zwei Gläser Limonade gegeben, und ich habe mittags mit
deiner Schwester ein Sandwich gegessen.« Er grinste. »Sie ist niedlich.
Und eine interessante Gesprächspartnerin. Sie hat mir alles über Tiger
erzählt.«
»Sie hat mit dir geredet?«, fragte Elena überrascht. »Normalerweise ist
sie echt schüchtern, wenn sie jemanden kennenlernt. Mit meinem Freund,
Stefano, wollte sie erst nach Monaten sprechen.«
»Oh, nun ja«, meinte er achselzuckend. »Nachdem ich ihr einige
Zauberkunststückchen gezeigt hatte, war sie so fasziniert, dass sie ihre
Schüchternheit ganz vergessen hat. Bis sie in die Schule kommt, wird sie
eine Meisterzauberin sein. Sie ist ein Naturtalent.«
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»Wirklich?«, fragte Elena. Sie spürte ein scharfes Ziehen im Magen, ein
Gefühl des Verlustes. Sie hatte so viel von dem Leben ihrer kleinen Sch-
wester versäumt. Beim Frühstück war ihr aufgefallen, dass sie älter aussah
und auch älter klang. Es war, als sei Margaret in den letzten Monaten ir-
gendwie zu einer anderen Person gereift, ohne dass Elena dabei gewesen
wäre. Elena schüttelte sich im Geiste: Sie musste aufhören, so ein Jam-
merlappen zu sein! Schließlich hatte sie unglaubliches Glück, jetzt hier zu
sein!
»Oh ja«, sagte er. »Sieh mal, das hab ich ihr beigebracht.« Er streckte
eine gebräunte Faust aus, drehte sie um und öffnete die Hand, um eine
Kamelienblüte zu entblößen, weiß und wächsern; dann schloss er die
Hand wieder, öffnete sie erneut, und eine feste Knospe kam zum
Vorschein.
»Wow«, sagte Elena fasziniert. »Mach’s noch mal.«
Sie schaute aufmerksam zu, während er mehrmals die Hand öffnete und
schloss und zuerst Blume, dann Knospe zeigte, Blume, dann Knospe.
»Ich habe Margaret auch gezeigt, wie man das mit Münzen macht, und
zwischen
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