Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
unkomplizierte, sonnige Leben, während
Elena – buchstäblich – durch die Hölle gegangen war, nur um das zu
bekommen, was Marissa mit Tom längst zu haben schien – und warum
hatte Elena es noch immer nicht bekommen?
Eine kalte Brise strich über Elenas Haut, und trotz der morgendlichen
Hitze schauderte sie. Sie blickte auf.
Dunkle, kühle Nebelfäden drifteten um sie herum, doch der Rest der
Straße war noch genauso sonnig wie vor wenigen Sekunden. Elenas Herz
begann heftig zu hämmern, bevor ihr Gehirn sich einschaltete. Dann be-
griff sie plötzlich, was geschah. Lauf!, heulte irgendetwas in ihr auf, aber
es war zu spät. Ihre Glieder waren schwer wie Blei.
Eine kühle, trockene Stimme erklang dicht hinter ihr, eine Stimme, die
unheimlicherweise genau wie der Beobachter in ihrem Hinterkopf klang,
der ihr die unbequemen Wahrheiten gesagt hatte, die sie nicht zur Kennt-
nis nehmen wollte. »Wie kommt es«, sagte die Stimme, »dass du nur
Ungeheuer lieben kannst?«
Elena konnte sich nicht dazu überwinden, sich umzudrehen.
»Oder liegt es daran, dass nur Ungeheuer dich wahrhaft lieben können,
Elena?«, sprach die Stimme weiter und nahm dabei einen sanft triumphi-
erenden Tonfall an. »All diese Jungs in der Highschool, sie wollten dich
nur als Trophäe. Sie haben dein goldenes Haar, deine blauen Augen und
dein perfektes Gesicht gesehen und dachten, wie gut sie mit dir an ihrer
Seite aussehen würden.«
Elena wappnete sich und drehte sich langsam um. Es war niemand da,
aber der Nebel wurde immer dichter. Eine Frau mit Kinderwagen schob
sich mit freundlichem Blick an ihr vorbei. Konnte sie denn nicht sehen,
dass Elena in ihren eigenen privaten Nebel gehüllt war? Elena öffnete den
Mund, um aufzuschreien, aber sie brachte keinen Ton über die Lippen.
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Der Nebel war jetzt kälter und fühlte sich beinah fest an, als halte er
Elena zurück. Mit großer Willensanstrengung zwang sie sich weiterzuge-
hen, aber sie taumelte nur bis zu einer Bank vor dem nächsten Laden. Die
Stimme sprach wieder, flüsterte ihr hämisch ins Ohr. »Sie haben dich
niemals wirklich angesehen, diese Jungs. Mädchen wie Marissa, wie
Meredith, können Liebe finden und glücklich sein. Um dich, die echte
Elena, bemühen sich nur die Ungeheuer. Arme, arme Elena, du wirst
niemals normal sein, nicht wahr? Nicht wie andere Mädchen.« Die
Stimme lachte leise und boshaft.
Der Nebel drängte sich dichter um sie. Jetzt konnte Elena den Rest der
Straße nicht mehr sehen, nichts jenseits der Dunkelheit. Sie versuchte
aufzustehen, sich einige Schritte vorwärts zu bewegen, den Nebel
abzuschütteln. Aber sie konnte sich nicht rühren. Der Nebel war wie eine
schwere Decke, die sie umfangen hielt, aber sie konnte ihn nicht berühren,
konnte nicht gegen ihn kämpfen.
Elena geriet in Panik und versuchte einmal mehr aufzuspringen; sie
öffnete den Mund, um Stefano! zu rufen. Aber der Nebel kreiselte in sie
hinein, durch sie hindurch, drang in jede ihrer Poren. Außerstande, sich zu
wehren oder zu schreien, brach sie zusammen.
Es war immer noch eiskalt.
»Zumindest bin ich diesmal angezogen«, murmelte Damon und trat ge-
gen ein Stück verkohltes Holz, während er über die kahle Oberfläche des
Dunklen Mondes trottete.
Der Ort ging ihm unter die Haut, das musste er zugeben. Es fühlte sich
so an, als sei er bereits Tage in dieser trostlosen Landschaft unterwegs, ob-
wohl die unveränderliche Dunkelheit hier es ihm unmöglich machte, mit
Bestimmtheit festzustellen, wie viel Zeit verstrichen war.
Als er aufgewacht war, hatte Damon angenommen, dass er das kleine
Rotkäppchen an seiner Seite vorfinden würde, überglücklich über seine
Gesellschaft und seinen Schutz. Aber er war allein aufgewacht, auf dem
Boden. Kein Phantom, kein dankbares Mädchen.
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Er runzelte die Stirn und trat zaghaft in einen Aschehaufen, der viel-
leicht einen Körper verbergen konnte. Aber es überraschte ihn nicht, dass
er darunter nichts als Schlamm fand und er sich nur noch mehr Dreck auf
seine einst auf Hochglanz polierten schwarzen Stiefel schmierte. Nachdem
er hier aufgewacht war und angefangen hatte, nach Bonnie zu suchen, er-
wartete er nun, jeden Augenblick über ihre bewusstlose Gestalt zu stol-
pern. Er hatte ein deutliches Bild davon, wie sie aussehen würde, bleich
und stumm in der Dunkelheit, die roten Locken von Asche verkrustet.
Aber jetzt wuchs seine Überzeugung, dass – wo immer auch
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