Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
Höhe. Unter ihm stand Stefano, ohne etwas zu be-
merken. Der Nebel war allein zu Damon gekommen.
Mit einem stillen Lächeln spürte Damon, wie der Nebel ihn umschlang,
und dann war alles Dunkelheit.
Kapitel Siebenundzwanzig
Der nächste Morgen war wieder heiß. Die Luft war so schwer und feucht,
dass sich der Weg die Straße hinunter wie durch eine Sauna zog. Selbst im
klimatisierten Auto konnte Elena spüren, wie ihr normalerweise glattes
Haar sich in der Feuchtigkeit kringelte.
Stefano war kurz nach dem Frühstück bei ihr zu Hause aufgetaucht,
diesmal mit einer Liste von Kräutern und anderen magischen Zutaten für
Schutzzauber, die sie für Mrs Flowers in der Stadt besorgen sollten.
Während der Fahrt schaute Elena aus dem Fenster und betrachtete die
adretten weißen Häuser und die gepflegten grünen Wiesen des Wohngebi-
ets von Fell’s Church, bis diese allmählich von den Ziegelsteinbauten und
geschmackvollen Schaufenstern des Einkaufszentrums in der Stadtmitte
abgelöst wurden.
Stefano parkte auf der Hauptstraße, vor jenem hübschen kleinen Café,
in dem sie im letzten Herbst zusammen Cappuccino getrunken hatten –
kurz nachdem Elena erfahren hatte, was er wirklich war. An einem der
winzigen Tische hatte Stefano ihr erzählt, wie man einen traditionellen it-
alienischen Cappuccino zubereitete, und danach hatte er in Erinnerungen
an die großen Festmahle seiner Jugend – in der Zeit, die später Renais-
sance genannt werden sollte – geschwelgt: aromatische Suppen, die mit
Granatapfelsamen bestreut waren; saftige, mit Rosenwasser begossene
Braten; Pasteten mit Holunderblüten und Kastanien – Gang um Gang
kräftige, stark gewürzte Speisen, die ein moderner Italiener niemals als
Teil der Küche seines Landes erkennen würde.
Ehrfürchtig hatte Elena begriffen, wie gewaltig sich die Welt verändert
hatte seit Stefanos letztem Mahl als Mensch. Gabeln, so hatte er ihr neben-
bei erzählt, seien in seiner Jugend gerade erst in Mode gekommen, und
sein Vater habe sie als Narretei verspottet. Bevor Catarinas moderner, da-
menhafter Einfluss sich in ihrem Haus ausgewirkt hatte, war es bei ihnen
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üblich gewesen, nur mit Löffeln und scharfen Messern zu essen. »Aber es
war trotzdem alles sehr kultiviert«, hatte er gesagt und über ihren Gesicht-
sausdruck gelacht. »Wir hatten hervorragende Tischmanieren. Du hättest
es kaum bemerkt.«
Damals hatte sie den Unterschied zwischen ihm und den anderen Jun-
gen, seinen faszinierenden historischen Hintergrund als romantisch em-
pfunden. Jetzt … nun, jetzt wusste sie nicht mehr, was sie dachte.
»Ich glaube, es ist hier unten«, bemerkte Stefano, griff nach ihrer Hand
und holte sie in die Gegenwart zurück. »Mrs Flowers sagte, auf dieser
Straße habe ein New-Age-Laden eröffnet, der die meisten der Dinge haben
müsste, die wir brauchen.«
Der Laden hieß Spirit & Soul, und er war winzig, aber irgendwie
lebendig und überfüllt von Kristallen und Einhornfiguren, Tarotkarten
und Traumfängern. Alles war in Purpur und Silber gehalten, und seidige
Wandbehänge wehten in der Brise, welche die kleine Klimaanlage auf dem
Fenstersims zustande brachte. Die Klimaanlage war jedoch nicht an-
nähernd stark genug, um die herrschende Schwüle zu vertreiben, und die
vogelähnliche kleine Frau mit dem langen, gelockten Haar und den klap-
pernden Halsketten, die aus dem hinteren Teil des Ladens erschien, wirkte
müde und verschwitzt.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte sie mit einer leisen melodis-
chen Stimme, mit der sie sich – so vermutete Elena – der Atmosphäre des
Ladens anzupassen versuchte.
Stefano zog den Zettel mit Mrs Flowers’ krakeliger Handschrift heraus
und musterte ihn blinzelnd. Vampirsicht hin, Vampirsicht her, das Entzif-
fern von Mrs Flowers’ Schrift konnte eine Herausforderung sein.
Oh, Stefano. Er war so ernst und süß und nobel. Seine poetische Seele
schimmerte durch diese herrlichen grünen Augen. Sie konnte es nicht be-
dauern, Stefano zu lieben. Aber manchmal wünschte sie sich insgeheim,
dass sie Stefano auf eine weniger komplizierte Art gefunden hätte; dass
seine Seele und Intelligenz, seine Liebe und Leidenschaft, seine Weltge-
wandtheit und Sanftheit irgendwie in Form eines realen Achtzehnjährigen
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erschienen wären; dass er genau das gewesen wäre, was er bei ihrer ersten
Begegnung vorgegeben hatte: rätselhaft, fremdländisch, menschlich.
»Haben Sie
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