Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
stoßen und den
berauschenden Nektar ihres Blutes kosten, dieses Lebenselexier, das an-
ders schmeckte als das aller anderen Menschen.
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Aber sie schickte ihn weg, obwohl er wusste, dass sie das eigentlich gar
nicht wollte.
Sie sagte nicht, dass sie ihn wegen seines kleinen Bruders wegschickte,
aber er wusste es trotzdem. Immer ging es um Stefano.
Als er sie verließ, verwandelte er sich wieder anmutig in eine große
schwarze Krähe und flog von ihrem Schlafzimmerfenster zu dem nahen
Quittenbaum. Dort legte er die Flügel an, verlagerte sein Gewicht von
einem Fuß auf den anderen und machte es sich für seine Wache über sie
bequem. Er konnte sie durch das Fenster spüren, zuerst ängstlich und mit
sich überschlagenden Gedanken, aber schon bald verlangsamte sich ihr
Puls, ihre Atemzüge wurden gleichmäßiger, und er wusste, dass sie schlief.
Er würde bleiben und sie beschützen.
Keine Frage: Er musste sie retten. Wenn Elena einen ritterlichen
Beschützer wollte, jemanden, der nobel über sie wachte, dann war Damon
der Mann dafür. Warum sollte Stefano, dieser Schwächling, allen Ruhm
einheimsen?
Aber er war sich nicht sicher, was er als nächstes tun sollte. Obwohl
Elena ihn angefleht hatte, nicht zu gehen, schien ihm eine Reise in die
Dunkle Dimension als der logische nächste Schritt im Kampf gegen dieses
Phantom. Aber wie sollte er dorthin gelangen? Es gab keine einfachen
Wege. Er hatte weder die Zeit, um erneut zu einem der Tore zu reisen,
noch wollte er Elena solange allein lassen. Und er konnte nicht erwarten,
dass er zufällig wieder etwas so Nützliches fand wie eine Sternenkugel.
Außerdem würden ihn in der Dunklen Dimension, falls er tatsächlich
dorthin gelangte, jetzt ganz besondere Gefahren erwarten. Er glaubte
nicht, dass die Wächter von seiner Rückkehr von den Toten wussten, und
er hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würden, wenn sie davon erfuhren.
Er wollte es lieber gar nicht erst herausfinden. Die Wächter hatten nicht
viel für Vampire übrig. Und sie wollten, dass die Dinge so blieben, wie sie
waren. Man brauchte sich nur anzusehen, wie sie Elena ihrer Kräfte be-
raubt hatten, als sie auf sie aufmerksam geworden waren.
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Damon zog die Schultern hoch und spreizte seine schillernden Federn.
Es musste einen anderen Weg geben.
Da nahm er ein kaum hörbares Rascheln wahr. Ohne die empfindlichen
Ohren eines Vampirs hätte es niemand bemerkt, so leise und vorsichtig
war es. Aber Damon war sofort in Hab-Acht-Stellung und schaute sich
scharf um. Niemand würde zu seiner Prinzessin vordringen.
Oh. Damon entspannte sich wieder und klapperte verärgert mit dem
Schnabel. Stefano. Die schattenhafte Gestalt seines kleinen Bruders stand
unter dem Baum, den Kopf in den Nacken gelegt, während er voller
Hingabe zu Elenas dunklem Fenster hinaufschaute. Natürlich war er da,
bereit, sie gegen alle Gräuel der Nacht zu verteidigen. Und plötzlich wusste
Damon, was er tun musste. Wenn er mehr über das Phantom erfahren
wollte, musste er sich dem Phantom überlassen.
Er schloss die Augen und erlaubte, dass ihn jedes negative Gefühl über-
flutete, das er jemals in Bezug auf Stefano gehegt hatte: Wie Stefano im-
mer alles genommen hatte, was Damon wollte, wie er es gestohlen hatte,
wenn es sein musste.
Verdammter Stefano, dachte Damon voller Bitterkeit. Wenn sein Bruder
nicht vor ihm in die Stadt gekommen wäre, hätte Damon die Chance ge-
habt, dafür zu sorgen, dass Elena sich zuerst in ihn verliebte; dass er das
Ziel dieser absoluten Hingabe wurde, die er in ihren Augen sah, wenn sie
Stefano betrachtete.
Stattdessen war er nur die zweite Geige. Auch für Catarina war er nicht
gut genug gewesen, auch sie hatte seinen Bruder gewollt. Elena, eine Ti-
gerin im Vergleich zu dem Kätzchen, das Catarina gewesen war, hätte die
perfekte Partnerin für Damon abgegeben. Schön, stark, schlau und voller
Liebe hätten sie gemeinsam über die Nacht herrschen können.
Aber sie hatte sich in den hasenfüßigen Schwächling, der sein kleiner
Bruder war, verliebt. Damon schloss die Krallen um den Zweig, auf dem er
saß.
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»Ist das nicht traurig«, erklang eine leise Stimme neben ihm, »dass du
trotz all der Mühe, die du dir gibst, den Frauen, die du liebst, nie genug
bist?«
Ein kühler Nebelfaden berührte seinen Flügel. Damon richtete sich auf
und schaute sich um. Dunkler Nebel wand sich um den Quittenbaum,
genau auf Damons
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