Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
irgendetwas aus Hämatit?«, fragte er jetzt. »Schmuck oder
vielleicht Nippes? Und Weihrauch mit …« Stirnrunzelnd betrachtete er das
Papier. »Eibisch? Klingt Eibisch richtig?«
»Natürlich!«, antwortete die Ladenbesitzerin begeistert. »Eibisch ist gut
zum Schutz der Sicherheit. Und es riecht wunderbar. Die verschiedenen
Weihrauchsorten sind hier drüben.«
Stefano folgte ihr tiefer in den Laden hinein, aber Elena blieb an der Tür
zurück. Sie war erschöpft, obwohl der Tag gerade erst begonnen hatte.
Geistesabwesend betrachtete sie die Kleider, die an einem Ständer am
Schaufenster hingen, und schob die Bügel hin und her. Es war auch eine
duftige, rosafarbene Bluse dabei, die mit winzig kleinen Spiegeln besetzt
war, vielleicht ein wenig hippiemäßig, aber süß. Das würde Bonnie ge-
fallen, dachte Elena automatisch, dann zuckte sie zusammen.
Durch das Fenster erhaschte sie einen Blick auf ein Gesicht, das sie kan-
nte, und sie drehte sich zu ihm um. Die Bluse hing vergessen in ihrer
Hand.
In ihrer Erinnerung suchte Elena nach dem Namen. Tom Parker, so hieß
er. Sie war im ersten Jahr auf der Highschool einige Male mit ihm aus-
gegangen, bevor sie und Matt zusammengekommen waren. Es fühlte sich
so an, als sei inzwischen viel mehr Zeit vergangen als eineinhalb Jahre.
Tom war ziemlich nett und ziemlich attraktiv gewesen, alles in allem ein
ziemlich gutes Date, aber trotzdem war zwischen ihnen irgendwie kein
Funke übergesprungen, und sie hatte ihn – wie Meredith es ausdrückte –
»freigelassen, damit er weiter in den Gewässern der Liebe umherschwim-
men und nach der richtigen Partnerin suchen konnte«.
Doch er war verrückt nach ihr gewesen. Selbst nachdem sie ihm den
Laufpass gegeben hatte, war er immer in ihrer Nähe gewesen, hatte sie mit
Welpenaugen angehimmelt und um ihre Liebe gebettelt.
Wenn die Dinge anders gekommen wären, wenn sie etwas für Tom em-
pfunden hätte, wäre ihr Leben dann jetzt nicht einfacher?
220/328
Sie beobachtete Tom. Er schlenderte lächelnd die Straße entlang, Hand
in Hand mit Marissa Peterson, dem Mädchen, mit dem er seit Ende des
vergangenen Jahres ging. Tom war groß, und jetzt neigte er seinen
wuscheligen, dunklen Kopf etwas nach unten, um zu hören, was Marissa
sagte. Sie schenkten einander ein Lächeln, und er hob seine freie Hand,
um Marissa sanft und spielerisch an ihrem langen Haar zu ziehen. Sie
sahen glücklich aus.
Nun, schön für sie. Es war leicht, glücklich zu sein, wenn man unkom-
pliziert verliebt war, wenn es nichts Schwierigeres im Leben gab als einen
Sommer, den man gemeinsam mit Freunden verbrachte, bevor es aufs Col-
lege ging. Es war einfach, glücklich zu sein, wenn man sich nicht mal an
das Chaos erinnern konnte, das in der Stadt geherrscht hatte, bevor Elena
sie alle gerettet hatte. Und sie waren nicht einmal dankbar. Sie waren zu
glücklich: Sie wussten nichts von der Dunkelheit, die hinter ihrem sicher-
en, sonnenhellen Leben lauerte.
Elenas Magen krampfte sich zusammen. Vampire, Dämonen, Phantome
und eine Liebe, die unter einem schlechten Stern stand. Warum war aus-
gerechnet sie diejenige, die mit alldem fertig werden musste?
Sie lauschte einen Moment lang. Stefano beriet sich noch immer mit der
Ladenbesitzerin, und sie hörte ihn besorgt fragen: »Aber werden Eberes-
chenzweige die gleiche Wirkung haben?« Und sie hörte das beruhigende
Gemurmel der Frau. Er würde also noch ein Weilchen länger beschäftigt
sein. Er hatte erst etwa ein Drittel der Liste von Mrs Flowers abgearbeitet.
Elena hängte die Bluse wieder an ihren Platz auf dem Ständer und trat
aus dem Laden.
Sorgfältig darauf bedacht, nicht von dem Paar auf der anderen Straßen-
seite bemerkt zu werden, folgte sie ihm in einiger Entfernung und warf
einen langen Blick auf Marissa. Sie war mager, hatte Sommersprossen und
eine kleine Stupsnase. Durchaus hübsch, dachte Elena, mit ihrem langen,
glatten, dunklen Haar und dem breiten Mund, aber nicht besonders auffäl-
lig. Sie war in der Schule ein Niemand gewesen. Volleyballmannschaft vi-
elleicht. Jahrbuch. Gute, aber nicht großartige Noten. Freunde, aber nicht
221/328
sonderlich beliebt. Ein gelegentliches Date, aber kein Mädchen, das den
Jungs auffiel. Ein Nebenjob in einem Laden oder vielleicht in der Biblio-
thek. Gewöhnlich. Nichts Besonderes.
Warum also bekam die gewöhnliche Marissa, die sich durch nichts
Besonderes auszeichnete, dieses
Weitere Kostenlose Bücher