Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
Polizisten. Bitte, bring sie in den Wald, wo sie Tiere jagen
können. Sie können auch von tierischem Blut leben.« Er hörte selbst den
flehenden Unterton in seiner Stimme, während Ethan ihn nur geistesab-
wesend anlächelte wie ein Kind, das darum bettelte, nach Disneyland
fahren zu dürfen. »Komm schon, Ethan, es ist noch nicht lange her, dass
du ebenfalls ein Mensch warst. Es kann unmöglich dein Wunsch sein,
daneben zu stehen, während unschuldige Studenten ermordet werden.«
Ethan zuckte die Achseln und tätschelte Stefano leicht die Schulter,
während er sich erneut seinen Handlangern zuwandte. »Sie müssen stark
sein, Stefano. Ich will, dass sie bei der nächsten Tag- und Nachtgleiche
den Gipfel ihrer Stärke erreicht haben. Und übrigens haben wir bereits
jede Menge unschuldiger Studenten getötet«, sagte er beiläufig.
»Tag- und Nachtgleiche? Ethan !«, rief Stefano ihm entsetzt nach. Er
schaute hektisch zur Tür, durch welche die Neulinge und ihre Begleiter
den Raum verlassen hatten. Sie würden eine Weile brauchen, um ihre Op-
fer auszuwählen. Es gab nicht mehr sehr viele Studenten, die sich in
diesen Tagen nachts allein über den Campus wagten. Wenn er freikom-
men würde, wenn Damon jetzt käme und ihn befreite, könnten sie das
Gemetzel noch verhindern. Denn wenn all diese brandneuen Vampire auf
den Campus losgelassen wurden, würde es ein Massaker geben.
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Es war unmöglich, dass Ethan auch die anderen Mitglieder der Vitale
Society in einer Massenzeremonie verwandelt hatte, begriff Stefano. Eine
frisch erschaffene Gruppe hätte viel zu viele Morde begangen, als dass
diese noch mit dem Verschwinden einiger Personen zu tarnen gewesen
wären. Das hier musste also die erste Zeremonie dieser Art gewesen sein.
Aber wer hatte Ethan erschaffen? Gab es noch einen älteren Vampir ir-
gendwo auf dem Campus?
Damon, wo bist du?, fragte er stumm. Aber er hatte keinen Zweifel
daran, dass Damon kommen würde.
Trotz ihres Zerwürfnisses wegen Elena hatte sich etwas zwischen ihm
und Damon verändert, so sehr, dass er wusste, dass sein Bruder ihn
retten würde. Er hatte ihn schon früher gerettet, als sie gegen Catarina
gekämpft hatten, als sie gegen Nicolaus gekämpft hatten. Doch jetzt war
da etwas zwischen ihnen, etwas Felsenfestes, das vor einem Jahr noch
nicht da gewesen war oder in all den Jahrhunderten davor. Er schloss die
Augen und hörte sich ein trockenes, gequältes Lachen ausstoßen. Es war
wohl ein eher ungünstiger Moment, um seine eigenen Familienprobleme
auszubreiten.
»Also«, sagte Ethan im Plauderton, als er zu ihm zurückkehrte und sich
einen Stuhl heranzog, »wir haben über die Tag- und Nachtgleiche
gesprochen.«
»Richtig«, erwiderte Stefano schneidend.
Er wollte sich nicht anmerken lassen, wie gespannt er die Tür im Auge
behielt. Er musste Ruhe bewahren, damit Damon das Überraschungsmo-
ment auf seiner Seite hatte. Er wollte dafür sorgen, dass Ethan weiterre-
dete, wollte ihn ablenken für den Fall, dass Damon auftauchte. Daher set-
zte er eine interessierte Miene auf und sah Ethan aufmerksam an.
»Zur Tag- und Nachtgleiche, wenn sich Tag und Nacht in perfektem
Gleichgewicht befinden, ist die Linie zwischen Leben und Tod am
schwächsten; sie ist durchlässig. Das ist der Zeitpunkt, zu dem Geister
von einer Welt in die andere gehen können«, begann Ethan dramatisch
und machte eine weit ausholende Handbewegung.
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Stefano seufzte. »Das weiß ich, Ethan«, sagte er gelangweilt. »Komm
einfach zum Punkt.« Auch wenn er Ethan ablenken musste, brauchte er
noch lange nicht dessen Ego aufzupolieren.
Ethan ließ die Hand sinken. »Du erinnerst dich doch an Nicolaus,
oder?«, fragte er. »Den Schöpfer deiner Blutlinie? Wir erwecken ihn
wieder. Mit ihm an unserer Spitze werden wir unbesiegbar sein.«
Für einen Moment herrschte Totenstille. Dann sog Stefano scharf die
Luft ein. Er hatte das Gefühl, als hätte Ethan ihm ins Gesicht geboxt, und
brachte keinen Ton heraus. Als er seine Stimme endlich wiederfand, stieß
er hervor: » Nicolaus ? Der Vampir, der …« Er konnte den Satz nicht ein-
mal beenden. In seinem Kopf drehte sich alles: der Alte, der Urvampir,
der Wahnsinnige. Derjenige Vampir, der damit geprahlt hatte, dass er
nicht erschaffen worden sei, sondern dass er einfach war, dass er die
Rasse der Vampire gegründet habe.
Nicolaus hatte Elenas Geist als Geisel gehalten und die unschuldige
Vickie Bennett
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