Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
Stuhl hin und schenkte ihm das gleiche
warme, freundliche Lächeln wie an dem Tag, als er Stefano überreden
wollte, sich ihnen anzuschließen. Er sah aus wie ein netter Kerl, jemand,
bei dem man sich entspannen und dem man vertrauen konnte. Stefano
starrte ihn zornig an. Das Lächeln war eine Lüge. Ethan war ein Killer,
der ebenso wie die anderen Society-Vampire eine Maske trug, nur weni-
ger offensichtlich.
»Da hast du wahrscheinlich recht«, erwiderte Ethan nachdenklich.
»Wahrscheinlich hast du bereits unzählige Tricks aufgeschnappt in dein-
en – wie viel sind es doch gleich? – mehr als sechshundert Jahren?
Tricks, die ich noch nicht kenne. Du könntest mir in dieser Hinsicht sehr
nützlich sein, wenn du dich dafür entscheidest, dich uns anzuschließen.
Es gibt wohl eine ganze Menge, was du uns in Sachen Vampirkram beib-
ringen kannst.« Er ließ wieder sein einnehmendes Lächeln aufblitzen.
»Ich war schon immer ein guter Schüler.«
Vampirkram. »Was willst du von mir, Ethan?«, fragte Stefano er-
schöpft. Es war eine lange Nacht gewesen – es waren lange Wochen
gewesen –, und die mit Eisenkraut getränkten Fesseln schmerzten und
trübten seine Gedanken.
Ethan wusste, wie alt er war. Ethan hatte auch gewusst, wie er ihn
ködern musste, als sie hier in diesem Raum zum ersten Mal über die
Vitale Society sprachen. Das war alles kein Zufall; Ethan suchte nicht
nach irgendeinem Vampir. »Was genau hast du vor?«, fragte Stefano.
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Ethans Lächeln wurde breiter. »Ich baue eine unbesiegbare Vampir-
Armee auf«, antwortete er fröhlich. »Ich weiß, das klingt ein wenig
lächerlich, aber es geht um Macht. Und Macht ist niemals lächerlich.« Er
leckte sich nervös über die Lippen und zeigte seine dünne rosafarbene
Zunge. »Verstehst du, früher war ich einfach einer dieser gewöhnlichen
kleinen Menschen. Ich war wie alle anderen auf dem Campus. Meine
größten Leistungen waren gute Noten oder die Tatsache, dass ich der An-
führer irgendeines geheimen College-Clubs war. Du würdest nicht
glauben, wie lahm es in der Vitale Society früher zuging. Nur weiße Magie
und Anbetung der Natur.« Er zog eine abfällige Grimasse: Sieh nur, wie
dumm ich einmal war. Ich erzähle dir etwas Peinliches über mich selbst,
also vertrau mir. »Aber dann fand ich heraus, wie ich an echte Macht
kommen konnte.«
Eine der schwarz gewandeten Gestalten trat hinter Ethan und Ethan
hob den Zeigefinger und sah Stefano an. »Einen Moment, okay?« Er
stand auf und drehte sich um, um mit der Gestalt zu sprechen.
Nachdem Stefano gefesselt worden war, hatte Ethan sich mit schockier-
ender Effizienz daran gemacht, auch die restlichen Kandidaten zu entleer-
en, einen nach dem anderen; sobald er mit ihnen fertig war, hatte er ihre
Körper einfach fallen lassen. Inzwischen hatten sie sich alle verwandelt
und waren wieder auf den Beinen. Sie wirkten reizbar und verwirrt, knur-
rten und schnappten nach einander und sahen Ethan mit unverhohlener
Bewunderung an.
Typisch für neue Vampire. Stefano beäugte sie argwöhnisch. Bis sie or-
dentlich getrunken hatten, wandelten sie am Rand des Wahnsinns, und es
konnte leicht passieren, dass Ethan die Kontrolle über sie verlor. Dann
wären sie sogar noch gefährlicher.
»Die Kandidaten müssen etwas zu sich nehmen«, erklärte Ethan
gelassen dem Vampir hinter sich. »Fünf von euch sollten sie mit nach
draußen nehmen und ihnen beibringen, wie man jagt. Du führst den Jag-
dtrupp an und suchst dir aus, wen immer du willst. Die Übrigen werden
hierbleiben und helfen, unseren Gast zu bewachen.«
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Stefano beobachtete, wie die Vampire sich aufteilten. Er hatte es
geschafft, ein paar von ihnen während des Kampfes zu töten, aber es war-
en immer noch genug, die sich jetzt an den Seiten des Raums postierten.
Stefano stöhnte unwillkürlich. Es war schwer, einen klaren Gedanken
zu fassen – er war so müde, und das Eisenkraut begann, ihm am ganzen
Körper Schmerzen zu bereiten. Nicht nur an den Handgelenken, sondern
überall, wo die Seile ihn durch seine Kleider hindurch berührten. Damon,
bitte, komm schnell. Bitte, Damon, dachte er.
»Du willst neun frisch erschaffene Vampire auf den Campus
loslassen?«, fragte er Ethan und versuchte, sich wieder zu konzentrieren.
»Ethan, sie werden andere töten. Leute, die vielleicht deine Freunde war-
en. Du wirst Aufmerksamkeit auf dich lenken. Auf dem Campus wimmelt
es bereits von
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