Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
zufriedenes Lächeln. »Sie sehen Elizabeth so ähnlich. Ich war schon
verblüfft, als Sie den Vorlesungssaal betreten haben. Aber da ist auch
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etwas von Thomas an Ihnen – ohne Zweifel. Etwas in Ihrem Gesichtsaus-
druck, finde ich. Ihr Anblick erinnert mich an meine eigene Studienzeit.
Ihre Mutter war einfach bezaubernd.«
»Sie haben mit meinen Eltern zusammen das College besucht?«, fragte
Elena.
»Und ob ich das getan habe!« Professor Campbells kleine schwarze Au-
gen blitzten. »Sie gehörten zu meinen besten Freunden hier. Zwei der be-
sten Freunde, die ich überhaupt jemals hatte. Leider verloren wir uns im
Laufe der Jahre aus den Augen, aber ich habe von dem Unfall gehört.« Er
berührte sie zögernd am Arm. »Es tut mir so leid.«
»Danke.« Elena biss sich auf die Unterlippe. »Sie haben nie viel über
ihre College-Zeit erzählt. Vielleicht hätten sie das, wenn ich älter gewesen
wäre …« Ihre Stimme verlor sich, und sie merkte, wie sich ihre Augen mit
Tränen füllten.
»Oh, meine Liebe, ich wollte Sie nicht aufregen.« Professor Campbell
klopfte seine Jackentaschen ab. »Und ich habe natürlich kein Taschen-
tuch, wenn ich eins brauche. Oh, bitte, weinen Sie nicht.«
Sein bekümmerter Gesichtsausdruck wirkte so komisch, dass Elena ihn
mit feuchten Augen anlächelte, und er entspannte sich und erwiderte ihr
Lächeln.
»So ist es schon besser«, sagte er. »Wissen Sie, wenn Sie gern mehr
über Ihre Eltern hören möchten und darüber, wie sie damals waren, wäre
es mir ein Vergnügen, Ihnen davon zu erzählen. Ich habe jede Menge
Geschichten auf Lager.«
»Wirklich?«, fragte Elena hoffnungsvoll. Tante Judith erzählte zwar
manchmal von Elenas Mum, aber ihre Erinnerungen stammten größten-
teils aus ihrer gemeinsamen Kindheit. Und über die Vergangenheit ihres
Vaters wusste Elena kaum etwas: Er war ein Einzelkind gewesen und
seine Eltern waren tot.
»Aber sicher, aber sicher«, entgegnete Professor Campbell gut gelaunt.
»Besuchen Sie mich doch einfach in meiner Sprechstunde, dann kann ich
Ihnen alles erzählen, was wir früher angestellt haben. Ich bin jeden
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Montag und Freitag von drei bis fünf hier und werde Sie mit einem roten
Teppich empfangen. Natürlich im übertragenen Sinne. Und dann trinken
wir eine Tasse von diesem abscheulichen Fakultätskaffee.«
»Vielen Dank, Professor Campbell«, sagte Elena. »Das würde mich
wirklich sehr freuen.«
»Nicht der Rede wert«, erwiderte er. »Es ist das Mindeste, was ich tun
kann, damit Sie sich hier in Dalcrest wie zu Hause fühlen. Nennen Sie
mich doch James …« Er legte den Kopf schräg und musterte sie mit neu-
gierigen Augen. »Als Tochter von Elizabeth und Thomas müssen Sie
schließlich ein ganz besonderes Mädchen sein.«
Vor dem offenen Fenster des Hörsaals trippelte eine schwarze Krähe
gereizt auf einem Ast hin und her. Damon hätte sich am liebsten in sein
vampirisches Ich zurückverwandelt, um durch das Fenster zu klettern
und diesen Professor einem schnellen, aber effektiven Verhör zu
unterziehen.
Aber das würde Elena nicht gefallen.
Sie war so naiv, verdammt.
Ja, ja, sie war seine bezaubernde, brillante, kluge Prinzessin, aber sie
war eben auch furchtbar naiv ; das waren sie alle. Damon spreizte seine
zerzausten Federn, sodass sie geschmeidig schimmerten. Menschen war-
en einfach zu jung. Aus eigener Erfahrung wusste Damon, dass man nie
im Leben dazulernte, egal wie lange es auch dauerte. Nur wenn man un-
sterblich war, lernte man, richtig auf sich selbst aufzupassen.
Elena war der beste Beweis dafür. Nach allem, was sie durchgemacht
hatte, nach allem, was sie gesehen und erlebt hatte, ließ sie sich immer
noch spielend leicht um den Finger wickeln – dieser Mann musste ihr
lediglich Informationen über ihre Eltern versprechen, und sofort war sie
bereit, sich mit ihm in seinem Büro zu treffen. Sentimentales Herzchen.
Was konnte er ihr denn schon Bedeutungsvolles erzählen? Nichts würde
ihre Eltern zurückbringen.
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Es war allerdings ziemlich wahrscheinlich, dass der Professor keine Ge-
fahr darstellte. Damon hatte ihn mit seiner Macht untersucht und nichts
gespürt außer das Flackern eines menschlichen Geistes. Von dem kleinen
Mann gingen keine störenden oder gewalttätigen Schwingungen aus, es
gab keinerlei Reaktion einer dunklen Macht. Aber man konnte ja nie wis-
sen … Damons Macht konnte schließlich nicht jedes Ungeheuer
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