Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
Überbiss
und freundlichen Augen. Ein Gesicht, das er erkannte. Schon der Name
war ihm bekannt vorgekommen.
»Er lebt in unserem Wohnheim«, bemerkte er leise zu Elena. »Erin-
nerst du dich an ihn aus der Einführungsveranstaltung? Er schien
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ziemlich glücklich darüber, hier zu sein. Ich glaube nicht, dass er aus
freien Stücken abgehauen wäre.«
Elena starrte ihn an und ein ängstlicher Ausdruck schlich sich in ihre
großen Augen. »Glaubst du, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen ist?
Gleich an unserem ersten Abend hier ist doch etwas Unheimliches auf
dem College-Hof passiert.« Sie schluckte. »Es hieß, ein Mädchen hätte ein
paar Probleme gehabt, aber der Wachmann wollte uns nicht wirklich et-
was verraten. Meinst du, es könnte mit dem Verschwinden von Daniel
Greenwater zusammenhängen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Stefano gepresst, »aber ich mache mir
Sorgen. Alles, was aus dem gewohnten Raster fällt, ist verdächtig.« Er
stand auf. »Bist du so weit?« Elena nickte, obwohl sie nur die Hälfte ihres
Mittagessens verspeist hatte. Stefano gab dem Mädchen die Zeitung höf-
lich zurück und Elena folgte ihm nach draußen.
»Vielleicht leiden wir auch unter Verfolgungswahn, weil wir inzwischen
daran gewöhnt sind, dass schreckliche Dinge geschehen«, murmelte
Elena, sobald sie auf dem Weg waren, der den Hügel hinauf zu ihrem
Wohnheim führte. »Aber es verschwinden ständig Leute. Manchmal wer-
den Mädchen belästigt oder angegriffen. Das ist zwar furchtbar, aber es
bedeutet nicht, dass hinter allem gleich ein großer, finsterer Plan steckt.«
Stefano hielt inne und betrachtete einen Flyer, der an einen Baum
neben der Mensa geheftet war. » Versprich mir, vorsichtig zu sein, Elena«,
bat er. »Sag auch Meredith und Bonnie Bescheid. Und Matt. Keiner von
euch sollte allein über den Campus gehen. Jedenfalls nicht nachts.«
Elena nickte. Ihr Gesicht war bleich und sie starrte ebenfalls auf das
Foto und die Überschrift auf dem Flyer. Studentin verschwunden. Ste-
fano spürte einen scharfen Stich des Bedauerns. Sie war so enthusiastisch
gewesen, als sie sich zum Mittagessen getroffen hatten, und jetzt war
diese Begeisterung erloschen.
Er legte ihr den Arm um die Taille, um sie zu trösten, zu halten und zu
beschützen. »Wie wär’s, wenn wir heute Abend ausgehen würden?«,
schlug er vor. »Ich treffe mich mit einer Lerngruppe, aber das sollte nicht
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allzu lange dauern. Wir könnten außerhalb des Campus zu Abend essen.
Und vielleicht könntest du über Nacht bei mir bleiben? Ich würde mich
besser fühlen, wenn ich wüsste, dass du in Sicherheit bist.«
Elena sah ihn an und plötzlich sprühten ihre Augen vor Lachen. »Oh,
solange das der einzige Grund ist, warum du mich in deinem Zimmer
haben willst«, sagte sie kokett. »Wie gut, dass du es nicht auf etwas an-
deres abgesehen hast.«
Beim Anblick von Elenas cremefarbener Haut und ihrem seidigen
goldenen Haar musste Stefano an ihre Wärme denken – und an das
kräftige Aroma ihres Blutes. Die Vorstellung, sie wieder in den Armen zu
halten, ohne Tante Judith oder seine Vermieterin, Mrs Flowers, im Flur,
war berauschend.
»Natürlich nicht«, murmelte er und beugte sich zu ihr. »Ich habe kein-
erlei Absichten. Ich lebe nur, um dir zu dienen.« Sein Kuss war voller
Liebe und Sehnsucht.
Da hörte Stefano ein leises Krächzen und das Flattern von Flügeln, und
er runzelte die Stirn, während er Elena küsste. Elena spürte seine plötz-
liche Anspannung, löste sich von ihm und folgte seinem Blick zu der
schwarzen Krähe, die über ihnen kreiste.
Damon. Er beobachtet mich, dachte Elena , wie immer.
»Vorzügliche Leistung«, erschallte Ethans Stimme über den Basketball-
platz, wo alle Anwärter versammelt waren. Die Morgendämmerung brach
gerade an und es war sonst niemand in der Nähe. »Wie ihr von unserer
ersten Versammlung wisst, ist jeder von euch auf seine Weise höchst er-
folgreich. Aber das ist nicht genug.« Er hielt inne und musterte die ver-
schlafenen Gesichter. »Es ist nicht genug, in einem Teilbereich erstklassig
zu sein. Denn ihr könnt alle Bereiche in euch vereinen. Im Laufe eurer
Anwärterzeit werdet ihr Welten in euch selbst entdecken, von denen ihr
niemals etwas geahnt habt.«
Matt schlurfte in seinen Turnschuhen über den Platz und versuchte,
sich seine Skepsis nicht anmerken zu lassen. In seinem Fall war die
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Erwartung, er könne sich zu
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