Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
aus-
wählten, aber jetzt, da ich ihn kennengelernt habe, denke ich – denken
wir « – und er deutete mit der Hand auf die stummen Beobachter, die
maskierten Gestalten, auf der anderen Seite des Raums –, »dass er wie
geschaffen für uns wäre.«
Matt runzelte die Stirn. Er wollte vor Ethan nicht wie ein Idiot
dastehen, doch irgendetwas kam ihm daran merkwürdig vor. »Aber er hat
gar keine Bewährungsproben durchlaufen. Ist es nicht zu spät für ihn,
noch in diesem Semester Mitglied zu werden?«
Ethan lächelte schwach, seine Lippen zuckten kaum merklich. »Ich
denke, für Stefano können wir eine Ausnahme machen.«
»Aber …« Matt wollte schon widersprechen, doch dann lächelte er
Ethan an. »Ich kann ihn anrufen und fragen, ob er Interesse hat«, ver-
sprach er.
Ethan klopfte ihm auf den Rücken. »Danke, Matt. Du bist ein großer
Gewinn für unsere Gesellschaft, weißt du. Ich bin mir sicher, du kannst
ihn überzeugen.«
Als Ethan davonging, schaute Matt ihm lange nach und fragte sich,
warum das Lob diesmal so bitter schmeckte.
Weil es keinen Sinn ergibt, befand Matt, als er nach der Versammlung
zu seinem Wohnheim zurückging. Was war so Besonderes an Stefano, das
Ethan bewog, ihn jetzt noch in die Vitale Society aufzunehmen, statt bis
zum nächsten Aufnahmeverfahren zu warten? Okay, er war ein Vampir –
zweifellos etwas Besonderes, aber das wusste niemand. Und er sah gut
aus und war kultiviert auf diese ach so tolle europäische Art und Weise,
die dazu geführt hatte, dass ihm alle Mädchen auf der Highschool zu
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Füßen lagen – aber so gut sah er nun auch wieder nicht aus, und auf dem
Campus wimmelte es von anderen ausländischen Studenten.
Ruckartig blieb Matt stehen. War er etwa eifersüchtig? Okay, es war vi-
elleicht nicht ganz fair, dass Stefano einfach hereinspazieren konnte und
man ihm genau das auf dem Silbertablett präsentierte, wofür Matt hart
gearbeitet hatte – und von dem er gedacht hatte, es gehöre nur ihm.
Und wenn schon? Was konnte Stefano denn dafür, wenn Ethan ihm
eine Sonderbehandlung zuteilwerden lassen wollte? Stefano litt nach
seiner Trennung von Elena; vielleicht tat es ihm gut, sich der Vitale Soci-
ety anzuschließen. Und es würde Spaß machen, einen seiner Freunde
dabeizuhaben. Stefano verdiente es, wirklich. Er war mutig und edel, ein
Anführer, selbst wenn Ethan und die anderen das auf keinen Fall wissen
konnten.
Matt verdrängte auch noch den letzten Zweifel und zog sein Handy
hervor.
»Hi, Stefano«, sagte er. »Hör mal, erinnerst du dich noch an Ethan?«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, sagte Zander. Sein Arm lag stark
und beruhigend um Bonnies Schulter, und sein T-Shirt, an das sie sich
schmiegte, roch nach frisch gewaschener Baumwolle. »Worüber hast du
dich mit deinen Freundinnen gestritten?«
»Sie vertrauen meinem Urteil nicht«, antwortete Bonnie und wischte
sich über die Augen. »Wenn es nämlich eine der beiden betrifft, ziehen sie
nie so voreilige Schlüsse.«
»Schlüsse worüber?«, hakte Zander nach, aber Bonnie antwortete
nicht. Nach einem Moment streckte Zander die Hand aus und strich mit
seinem Finger sanft über ihr Kinn und ihre Lippen, den Blick eindringlich
auf ihr Gesicht gerichtet. »Natürlich kannst du hierbleiben, so lange du
willst, Bonnie. Ich stehe dir zu Diensten«, erklärte er etwas förmlich.
Bonnie sah sich neugierig in Zanders Zimmer um. Sie war noch nie hier
gewesen; tatsächlich hatte sie ihn anrufen müssen, um herauszufinden, in
welchem Wohnheim er lebte. Seltsam, wenn man das von seinem eigenen
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Freund nicht wusste, oder? Sie hatte sich sein Zimmer sehr unordentlich
und typisch männlich vorgestellt: alte Pizzakartons auf dem Boden,
schmutzige Wäsche, zweifelhafte Gerüche; vielleicht ein Poster mit einem
halbnackten Girl an der Wand. Aber im Gegensatz dazu war alles sehr
aufgeräumt, ja, geradezu kahl: Es lag nichts auf der Kommode und dem
Schreibtisch herum, es gab keine Bilder an den Wänden, keinen Teppich
auf dem Boden. Das Bett war ordentlich gemacht.
Das Einzel bett. Sie saßen beide darauf. Sie und ihr Freund.
Bonnie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, und verfluchte im Stil-
len diese lästige Angewohnheit. Sie war sich sicher, dass selbst ihre Ohren
knallrot leuchteten. Außerdem hatte sie ihren Freund gerade gefragt, ob
sie bei ihm einziehen könne. Klar, er war umwerfend und lieb, und ihn zu
küssen war die
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