Tagebuch (German Edition)
rasend, und Vater ging hinunter, um mit ihm zu reden. Natürlich hatte er wieder eine Ausrede, aber diesmal kam er sogar bei Vater nicht damit durch. Vater spricht nun auch so wenig wie möglich mit ihm, weil Dussel ihn beleidigt hat. Wie, weiß ich nicht, wir wissen es alle nicht, aber es muss schlimm sein.
Und nächste Woche hat der Unglückswurm auch noch Geburtstag.
Geburtstag haben, nicht den Mund aufmachen, schmollen und Geschenke bekommen, wie passt das zusammen?
Mit Herrn Vossen geht es schnell bergab, er hat seit über zehn Tagen fast vierzig Fieber. Der Doktor hält seinen Zustand für hoffnungslos, es wird angenommen, dass der Krebs auf die Lunge übergegriffen hat. Der arme Mann, man würde ihm so gern helfen, aber niemand als Gott kann hier helfen.
Ich habe eine schöne Geschichte geschrieben. Sie heißt »Blurry, der Weltentdecker« und hat meinen drei Zuhörern sehr gefallen.
Ich bin noch immer erkältet und habe sowohl Margot als auch Mutter und Vater angesteckt. Wenn Peter es nur nicht bekommt! Er musste unbedingt einen Kuss haben und nannte mich sein Eldorado. Es geht doch nicht, du verrückter Junge! Aber lieb ist er doch!
Deine Anne M. Frank
Donnerstag, 27. April 1944
Liebe Kitty!
Heute Morgen hatte Frau van Daan schlechte Laune, nichts als Klagen, zuerst über die Erkältung, dass sie keine Hustenbonbons bekam, dass das viele Schnäuzen nicht auszuhalten ist. Dann, dass die Sonne nicht scheint, dass die Invasion nicht kommt, dass wir nicht aus dem Fenster schauen können usw. usw. Wir mussten schrecklich über sie lachen. Es war dann doch nicht so schlimm, und sie lachte mit.
Das Rezept für unseren Kartoffelauflauf, wegen Mangels an Zwiebeln geändert:
Man nehme geschälte Kartoffeln, drehe sie durch eine Mühle, füge etwas trockenes Regierungsmehl und Salz hinzu. Man schmiere die Backform oder die feuerfeste Schüssel mit Paraffin oder Stearin ein, backe den Rührteig zweieinhalb Stunden und esse ihn dann mit angefaultem Erdbeerkompott. (Zwiebeln nicht vorhanden, auch kein Fett, weder für Schüssel noch für Teig.)
Im Augenblick lese ich »Kaiser Karl V.«, von einem Göttinger Universitätsprofessor geschrieben. Er hat vierzig Jahre an diesem Buch gearbeitet. In fünf Tagen habe ich fünfzig Seiten gelesen, mehr ist nicht möglich. Das Buch hat 598 Seiten, da kannst du dir ausrechnen, wie lange ich dazu brauchen werde. Und dann noch der zweite Band! Aber sehr interessant!
Was ein Schulmädchen an einem Tag nicht alles macht! Nimm mich mal! Erst habe ich ein Stück von Nelsons letzter Schlacht aus dem Niederländischen ins Englische übersetzt. Dann nahm ich die Fortsetzung des nordischen Krieges (1700–1721) durch. Peter der Große, Karl XII., August der Starke, Stanislaus Leczinsky, Mazeppa, Brandenburg, Vorder-Pommern, Hinter-Pommern und Dänemark, samt den dazugehörigen Jahreszahlen. Anschließend landete ich in Brasilien, las vom Bahia-Tabak, dem Überfluss an Kaffee, den anderthalb Millionen Einwohnern von Rio de Janeiro, von Pernambuco und São Paulo, den Amazonasfluss nicht zu vergessen. Von Negern, Mulatten, Mestizen, Weißen, mehr als 50 % Analphabeten und der Malaria. Da mir noch etwas Zeit blieb, nahm ich noch schnell einen Stammbaum durch: Jan der Alte, Wilhelm Ludwig, Ernst Casimir I., Heinrich Casimir I. bis zu der kleinen Margriet Franciska (geboren 1944 in Ottawa).
Zwölf Uhr: Auf dem Dachboden setzte ich meine Lernzeit fort mit Dekanen, Pfarrern, Pastoren, Päpsten und … Puh, bis ein Uhr.
Nach zwei Uhr saß das arme Kind schon wieder an der Arbeit, Schmal- und Breitnasenaffen waren dran. Kitty, sag schnell, wie viel Zehen ein Nilpferd hat!
Dann folgte die Bibel, die Arche Noah, Sem, Ham und Japhet, danach Karl V. Dann mit Peter Englisch, »Der Oberst« von Thackeray. Französische Vokabeln abhören und dann den Mississippi mit dem Missouri vergleichen!
Genug für heute, adieu!
Deine Anne M. Frank
Freitag, 28. April 1944
Liebe Kitty!
Meinen Traum von Peter Schiff habe ich nie vergessen. Ich fühle, wenn ich daran denke, heute noch seine Wange an meiner, mit jenem herrlichen Gefühl, das alles gut machte. Mit Peter hier hatte ich das Gefühl auch manchmal, aber nie so stark, bis wir gestern Abend zusammensaßen, wie gewöhnlich auf der Couch und einer in den Armen des anderen. Da glitt die normale Anne plötzlich weg, und dafür kam die zweite Anne, die nicht übermütig und witzig ist, sondern nur lieb haben will und weich sein.
Ich lehnte
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