Tagebuch (German Edition)
machte mit Papi die Betten, dann lernte ich fünf unregelmäßige Verben. Fleißig, nicht wahr?
Margot und Peter saßen in unserem Zimmer und lasen, und Mouschi saß bei Margot auf der Couch. Ich setzte mich nach meinen französischen Unregelmäßigkeiten auch dazu und las »Und ewig singen die Wälder«. Es ist ein sehr schönes, aber seltsames Buch, ich habe es fast ausgelesen.
Bep kommt nächste Woche auch mal auf Nachtbesuch!
Deine Anne
Donnerstag, 29. Oktober 1942
Liebste Kitty!
Ich bin ziemlich beunruhigt, Vater ist krank. Er hat hohes Fieber und roten Ausschlag, es scheinen die Masern zu sein. Stell dir vor, wir können nicht mal einen Doktor holen! Mutter lässt ihn kräftig schwitzen, vielleicht geht das Fieber davon runter.
Heute Morgen erzählte Miep, dass die Wohnung der van Daans nun von den Deutschen entmöbelt worden ist. Wir haben es Frau van Daan noch nicht gesagt, sie ist ohnehin schon so »nervenmäßig« in der letzten Zeit, und wir haben keine Lust, uns das Gejammer über ihr schönes Service und die feinen Sesselchen anzuhören, die zu Hause geblieben sind. Wir haben doch auch fast alles, was schön war, im Stich lassen müssen, was hilft nun das Geklage?
Vater will nun, dass ich Bücher von bekannten deutschen Schriftstellern lese. Das Deutschlesen geht schon relativ flott. Nur flüstere ich meistens, statt dass ich für mich lese. Aber das wird wohl vorbeigehen. Vater hat Goethes und Schillers Dramen aus dem großen Bücherschrank geholt, er will mir nun jeden Abend etwas vorlesen. Mit »Don Carlos« haben wir schon angefangen.
Um Vaters gutem Vorbild zu folgen, hat Mutter mir ihr Gebetbuch in die Hand gedrückt. Anstandshalber habe ich ein paar Gebete in Deutsch gelesen. Ich finde es schon schön, aber es sagt mir nicht viel. Warum zwingt sie mich, so fromm-religiös zu tun?
Morgen wird der Ofen zum ersten Mal angemacht. Wir werden wohl ziemlich im Rauch sitzen, der Schornstein ist schon lange Zeit nicht gefegt worden. Hoffen wir, dass das Ding zieht!
Deine Anne
Montag, 2. November 1942
Beste Kitty!
Freitagabend war Bep bei uns. Es war ziemlich gemütlich, aber sie hat nicht gut geschlafen, weil sie Wein getrunken hatte. Sonst gibt es nichts Besonderes. Gestern hatte ich schlimme Kopfschmerzen und bin früh ins Bett gegangen. Margot ist wieder mal garstig.
Heute Morgen habe ich angefangen, für das Büro einen Karteikasten zu sortieren. Der war umgefallen und ganz durcheinander. Ich wurde schon bald wahnsinnig davon und fragte Margot und Peter, ob sie mir helfen wollten, aber die beiden waren zu faul. Da habe ich die Sachen auch weggeräumt. Ich bin doch nicht verrückt und mache das alleine!
Anne Frank
P.S. Ich habe noch vergessen, dir die wichtige Neuigkeit zu erzählen, dass ich wahrscheinlich bald meine Periode bekomme. Das merke ich an dem klebrigen Zeug in meiner Hose, und Mutter hat es mir vorausgesagt. Ich kann es kaum erwarten. Es scheint mir so wichtig! Nur schade, dass ich nun keine Damenbinden tragen kann, die bekommt man nicht mehr. Und die Stäbchen von Mama können nur Frauen tragen, die schon mal ein Kind gehabt haben.
22. Januar 1944 (Nachtrag)
Ich würde so etwas nun nicht mehr schreiben können.
Wenn ich jetzt, eineinhalb Jahre später, wieder in mein Tagebuch schaue, staune ich sehr, dass ich jemals ein so unverdorbener Backfisch gewesen bin. Unwillkürlich weiß ich, dass ich, wie sehr ich es auch wollte, nie mehr so sein kann. Die Launen und die Äußerungen über Margot, Mutter und Vater verstehe ich noch genauso gut, als ob ich sie gestern geschrieben hätte. Aber dass ich so ungeniert über andere Dinge geschrieben habe, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Ich schäme mich wirklich, wenn ich die Seiten lese, die von Themen handeln, die ich mir gerne schöner vorstelle. Ich habe es so unfein hingeschrieben. Aber nun genug davon.
Was ich sehr gut verstehe, sind das Heimweh und die Sehnsucht nach Moortje. Oft bewusst, aber noch viel öfter unbewusst, hatte ich die ganze Zeit, die ich hier war und bin, ein Verlangen nach Vertrauen, Liebe und Zärtlichkeit. Dieses Verlangen ist manchmal stärker und manchmal schwächer, aber es ist immer da.
Donnerstag, 5. November 1942
Beste Kitty!
Die Engländer haben nun endlich in Afrika ein paar Erfolge, also sind die Herren sehr fröhlich, und wir haben heute Morgen Kaffee und Tee getrunken. Sonst nichts Besonderes.
Ich habe in dieser Woche sehr viel gelesen und wenig gearbeitet. So muss man es tun, so
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