Tagebuch (German Edition)
van Daans Geburtstag die Bewirtung ausgefallen war. Aber wozu könnte es gut sein, dich weiter mit harten Worten, Heulausbrüchen und giftigen Gesprächen zu langweilen. Wenn du nur weißt, dass sie uns noch mehr langweilen!
Mutter hat den vorläufig unerfüllbaren Wunsch geäußert, Herrn van Daans Gesicht mal vierzehn Tage nicht sehen zu müssen.
Ich frage mich, ob man mit allen Menschen, mit denen man so lange zusammenwohnt, auf die Dauer Streit bekommt. Oder haben wir vielleicht nur großes Pech gehabt? Wenn Dussel am Tisch von einer halben Schüssel Soße ein Viertel wegnimmt und alle anderen seelenruhig ihr Essen ohne Soße essen lässt, dann ist mir der Appetit vergangen. Dann würde ich am liebsten aufspringen und ihn vom Stuhl und aus der Tür hinaus stoßen.
Ist die Mehrheit der Menschen so egoistisch und knauserig? Ich finde es ganz gut, dass ich hier ein bisschen Menschenkenntnis bekommen habe, aber nun reicht’s. Peter sagt das auch.
Der Krieg stört sich nicht an unseren Streitereien, an unserer Sehnsucht nach Freiheit und Luft, und darum müssen wir versuchen, das Beste aus unserem Aufenthalt hier zu machen.
Ich predige, aber ich glaube, wenn wir noch lange hier bleiben, werde ich eine ausgetrocknete Bohnenstange. Und ich würde so gerne noch ein richtiger Backfisch sein!
Deine Anne
Mittwochabend, 19. Januar 1944
Liebe Kitty!
Ich (schon wieder dieser Fehler!) weiß nicht, was es ist, aber ich merke immer wieder, dass ich nach meinem Traum verändert bin. Nebenbei bemerkt, heute Nacht träumte ich wieder von Peter und sah seine durchdringenden Augen, aber dieser Traum war nicht so schön und auch nicht so klar wie der vorige.
Du weißt, dass ich früher, was Vater betraf, immer eifersüchtig auf Margot war. Davon ist nichts mehr zu merken. Es tut mir zwar noch weh, wenn Vater nervös ist und mich ungerecht behandelt, aber ich denke: »Ich kann es euch eigentlich nicht übel nehmen, dass ihr so seid. Ihr redet viel über die Gedanken von Kindern und Jugendlichen, aber ihr habt ja keine Ahnung.« Ich sehne mich nach mehr als Vaters Küssen, nach mehr als seinen Liebkosungen. Bin ich nicht schrecklich, dass ich mich immer mit mir selbst beschäftige? Muss ich, die ich gut und lieb sein will, ihnen nicht erst mal verzeihen? Ich vergebe Mutter ja, aber ich kann mich fast nicht beherrschen, wenn sie so sarkastisch ist und mich immer wieder auslacht.
Ich weiß, ich bin noch lange nicht so, wie ich sein muss. Werde ich jemals so werden?
Anne Frank
P.S. Vater fragte, ob ich dir von der Torte erzählt habe. Mutter hat nämlich an ihrem Geburtstag eine richtige Vorkriegstorte vom Büro bekommen, mit Mokka. Sie war wirklich toll. Aber ich habe im Augenblick so wenig Platz in meinen Gedanken für solche Sachen.
Samstag, 22. Januar 1944
Liebe Kitty!
Kannst du mir vielleicht erzählen, wie es kommt, dass alle Menschen ihr Inneres so ängstlich verbergen? Wie kommt es, dass ich mich in Gesellschaft immer ganz anders verhalte, als ich mich verhalten sollte? Warum vertraut der eine dem anderen so wenig? Ich weiß, es wird einen Grund dafür geben, aber manchmal finde ich es sehr schlimm, dass man nirgends, selbst bei den Menschen, die einem am nächsten stehen, ein wenig Vertraulichkeit findet.
Es kommt mir vor, als wäre ich seit meinem Traum älter geworden, eine eigenständigere Person. Du wirst auch erstaunt sein, wenn ich dir sage, dass sogar van Daans jetzt eine andere Position bei mir einnehmen. Ich betrachte auf einmal all die Diskussionen und so weiter nicht mehr von unserem voreingenommenen Standpunkt aus. Warum bin ich so verändert? Ja, siehst du, ich dachte plötzlich daran, dass unsere Beziehung ganz anders gewesen wäre, wenn Mutter anders wäre, eine richtige Mams. Es stimmt natürlich, dass Frau van Daan alles andere als ein feiner Mensch ist. Trotzdem denke ich, dass die Hälfte aller Streitereien hätte vermieden werden können, wenn Mutter im Umgang und bei jedem scharfen Gespräch nicht so unmöglich wäre. Frau van Daan hat nämlich eine Sonnenseite, und die ist, dass man mit ihr reden kann. Trotz allem Egoismus, aller Raffgier und Rückständigkeit kann man sie leicht zum Nachgeben bewegen, wenn man sie nicht reizt und widerborstig macht. Bis zum nächsten Anlass funktioniert dieses Mittel nicht, aber wenn man geduldig ist, kann man immer wieder versuchen, wie weit man damit kommt.
All die Fragen über unsere Erziehung, die Verwöhnerei, das Essen, alles, alles, alles hätte
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