Tagebuch (German Edition)
Essen.
Ob er mit dieser Frage etwas beabsichtigt hat? Ich bin heute endlich
dazu gekommen, ihn zu fragen, ob er mein Gerede nicht lästig fände. Er sagte nur: »Mir gefällt’s gut!« Inwieweit diese Antwort nur Schüchternheit war, kann ich nicht beurteilen.
Kitty, ich bin wie eine Verliebte, die von nichts anderem erzählen kann als von ihrem Schatz. Peter ist aber auch wirklich ein Schatz. Wann werde ich ihm das mal sagen können? Natürlich nur, wenn er mich auch für einen Schatz hält. Aber ich bin kein Kätzchen, das man ohne Handschuhe anpackt, das weiß ich wirklich. Und er liebt seine Ruhe, also habe ich keine Ahnung, inwieweit er mich nett findet. Jedenfalls lernen wir uns ein bisschen besser kennen. Ich wünschte nur, dass wir uns mit viel mehr Dingen heraustrauen würden. Aber wer weiß, vielleicht kommt diese Zeit schneller, als ich denke. Ein paar Mal am Tag fange ich einen Blick des Einvernehmens von ihm auf, ich zwinkere zurück, und wir sind beide froh. Ich bin verrückt, wenn ich auch von seiner Freude spreche, aber ich habe das unumstößliche Gefühl, dass er genauso denkt wie ich.
Deine Anne M. Frank
Samstag, 4. März 1944
Beste Kitty!
Dieser Samstag ist seit Monaten und Monaten mal nicht so langweilig, traurig und öde wie alle vorherigen. Kein anderer als Peter ist die Ursache. Heute Morgen ging ich zum Dachboden, um meine Schürze aufzuhängen, als Vater fragte, ob ich nicht bleiben wolle, um ein bisschen Französisch zu reden. Ich fand das prima. Wir sprachen zuerst Französisch, ich erklärte etwas, dann machten wir Englisch. Vater las aus Dickens vor, und ich war selig, denn ich saß auf Vaters Stuhl, dicht neben Peter.
Um Viertel vor elf ging ich nach unten. Als ich um halb zwölf wieder hinaufkam, stand er schon auf der Treppe und wartete auf mich. Wir redeten bis Viertel vor eins. Wenn es nur eben möglich ist, zum Beispiel nach dem Essen, wenn niemand es hört, sagt er: »Tschüs, Anne, bis später!«
Ach, ich bin so froh! Fängt er jetzt doch an, mich zu mögen? Jedenfalls ist er ein netter Kerl, und wer weiß, wie toll ich noch mit ihm reden kann.
Frau van Daan findet es gut, wenn wir zusammen sind, aber heute fragte sie neckend: »Kann ich euch beiden da oben denn trauen?«
»Natürlich« sagte ich protestierend. »Sie beleidigen mich!« Ich freue mich von morgens bis abends, dass ich Peter sehen werde.
Deine Anne M. Frank
P.S. Dass ich es nicht vergesse: Heute Nacht ist ein Haufen Schnee gefallen. Jetzt ist schon fast nichts mehr zu sehen, alles ist weggetaut.
Montag, 6. März 1944
Liebe Kitty!
Findest du es nicht verrückt, dass ich mich für Peter, nachdem er mir das von seinen Eltern erzählt hat, ein bisschen verantwortlich fühle? Es kommt mir vor, als gingen mich die Streitereien ebenso viel an wie ihn. Doch ich wage nicht mehr, mit ihm darüber zu sprechen, ich habe Angst, dass er das nicht mag. Um nichts in der Welt möchte ich nun unsensibel sein.
Ich sehe Peters Gesicht an, dass er genauso viel nachdenkt wie ich, und gestern Abend habe ich mich dann auch sehr geärgert, als Frau van Daan spöttisch sagte: »Der Denker!« Peter wurde rot und verlegen, und ich bin fast geplatzt.
Die Leute sollen doch ihren Mund halten! Es ist schlimm, untätig mit anzusehen, wie einsam er ist. Ich kann mir so gut, als würde ich es selbst mitmachen, vorstellen, wie verzweifelt er sich manchmal bei Streitereien fühlen muss. Armer Peter, wie sehr hat er Liebe nötig!
Wie hart klang es in meinen Ohren, als er davon sprach, dass er keine Freunde nötig hätte. Wie er sich irrt! Ich glaube auch, dass er diese Worte nicht ernst gemeint hat. Er klammert sich an seine Männlichkeit, seine Einsamkeit und seine gespielte Gleichgültigkeit, nur um nicht aus der Rolle zu fallen, um nie, nie zu zeigen, wie er sich fühlt. Armer Peter, wie lange kann er diese Rolle spielen? Wird dieser übermenschlichen Anstrengung kein schrecklicher Ausbruch folgen? O Peter, könnte und dürfte ich dir nur helfen! Wir zusammen würden unser beider Einsamkeit schon vertreiben!
Ich denke viel, aber ich sage nicht viel. Ich bin froh, wenn ich ihn sehe, und wenn dann auch noch die Sonne scheint. Gestern war ich beim Haarewaschen sehr ausgelassen und wusste die ganze Zeit, dass er im Zimmer nebenan war. Ich konnte es nicht ändern. Je stiller und ernster ich von innen bin, desto lärmender bin ich von außen. Wer wird der Erste sein, der diesen Panzer entdeckt und ihn durchbricht?
Es ist doch
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