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Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Titel: Tagebücher 01 - Literat und Europäer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Ende gibt es keine Antwort. Weil es möglich ist.
    Irgendwo gibt es sie noch, die Musik, das Meer, Lorbeerbäume, denkende Menschen … Ich denke an sie, wie ein Todkranker an die Landschaften und Gerüche eines weit zurückliegenden Sommers denkt.
    Das alles wächst in der Tat über jedes individuelle Schicksal hinaus. Ich bin Augenzeuge eines Massenunglücks, ausgelöst durch einen Massenwahn. Der große »Spaß« darf natürlich nicht bei den Juden aufhören. Und was geschieht, wenn sie alles bekommen haben? … Wenn es möglich ist, Menschen die Freiheit, die Menschenwürde, vielleicht sogar das Leben zu nehmen, warum soll dann diese blinde, tollwütig plündernde und zerstörende Meute vor irgendeinem Besitz, irgendeiner Person haltmachen? Den Flammen ist es egal, was sie verbrennen, solange es nur etwas einzuäschern gibt.
    Nie sind Menschen so gefährlich wie in dem Augenblick, da sie sich für Verbrechen rächen, die sie selbst begangen haben.
    Wo ist wohl jene Elite, von der sich Ortega y Gasset erhoffte, dass sie den durch seine Instinkte wild gewordenen Massenmenschen zügeln, bilden, zur Sittlichkeit erziehen würde? Irgendwo muss sie sein, so viel ist gewiss. Sie verbirgt sich. Versucht, möglichst unauffällig zu bleiben, die heiligen Schriftrollen, die Manuskripte, bewahrt sie in ihrer Handtasche, in ihrem Gepäck für den Luftschutzkeller auf …
    Diese Elite ist restlos erschöpft. Niemand, der es nicht erlebt hat, kann wissen, was man in den letzten zehn Jahren ertragen – und verschweigen! – musste. Sie wird, wenn es wieder möglich sein wird zu sprechen, keine Kraft mehr dazu haben.
    Ich glaube nicht mehr daran, dass irgendeine Kultur die niedrigen Instinkte und Affekte des Menschen dauerhaft durch Erziehung disziplinieren kann. Ich glaube nicht mehr daran, dass der Mensch auch aus anderen Gründen als aus Feigheit, Not oder einer momentanen Sentimentalität redlich und gerecht sein kann.
    Ich glaube immer mehr, dass das Höchste, wozu der Mensch fähig ist, echtes, menschliches Heldentum, nichts anderes als die bedingungslose, unverhandelbare Unparteilichkeit ist. Darin liegt die wahre menschliche Größe.
    Heute leben alle Schriftsteller in einer Art Rodostó . Es gehört ungeheuer viel Kraft dazu, in diesem inneren Exil nicht jede Schaffenskraft verkümmern zu lassen. Und sich nicht in sinnlose Zwangshandlungen zu flüchten.
    Eines der höchsten Lebensprinzipien ist die Pflichterfüllung. Jedenfalls für die Männer. Die Pflicht ist mehr als das Leben.
    Im vergangenen Vierteljahrhundert bestand meine Pflicht darin, mich mit aller Kraft der Arbeit zu widmen. Das habe ich – mal besser, mal schlechter, so gut es eben ging – auch getan. Jetzt besteht meine Pflicht darin, mit aller Kraft nicht zu arbeiten; zumindest nicht für die Welt. Auch das ist nicht einfach.
    Und dennoch, so miefig die Lebensbedingungen auch sind: Ich schreibe diesen Roman. Was ich schreibe, ist gewiss nicht »gut«; es fehlen sämtliche Voraussetzungen für die Arbeit, die Atmosphäre eines Schriftstellerlebens, meine Bücher, die würdige Umgebung, die eine solche geistige Arbeit verlangt! Und die vielen kleinen Sorgen, die es gibt! Lächerlich und gar nicht lächerliches Elend! Und es hilft auch nichts, wenn ich an die anderen denke, meine Gefährten und Freunde, die ihr Dasein jetzt in Internierungslagern fristen. Jeder leidet auf seine Weise.
    Und dennoch schreibe ich diesen Roman; während Ungarn in sein Verderben rennt. Ich kann nicht anders helfen, kann der Zeit keine andere Antwort geben, nicht anders Widerstand leisten als so: indem ich versuche, diesen Roman niederzuschreiben, während die anderen versuchen, alles zu vernichten, worin der tiefste Sinn Ungarns bestanden hat: die Kultur und die Menschlichkeit.
    Diese elenden Wichte: wie sie sich beeilen, »dabei zu sein«, nicht wegzubleiben, die »Stellung«, das »Fixum« nicht zu gefährden! Die Menschen sind gar nicht so niederträchtig, wie sie jämmerlich sind.
    Was ist an Rousseau so hoffnungslos langweilig? Nicht das, was er sagt, noch die Art, wie er es sagt. Ich fürchte: seine Seele.
    Krankheit, Krieg, Verfolgung, Verleumdung, Elend, Versteckspiel, Denunziation, Pestilenz, Langeweile, Selbstsucht, Habgier, Grausamkeit … was ist das alles zusammen? Wahnsinn, ein fiebriger Albtraum? Nein, das menschliche Leben.
    Hendrik van Loons sarkastisch-wehmütiges Buch über Die Geschichte der Menschheit .
    Der Autor steht auf einer kleinen Anhöhe, auf seinen

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