Tagebücher 01 - Literat und Europäer
Luftschutzkeller ausgesetzt war, und die Brutalität der Wächter, die mürrischen und verzweifelten Launen der Internierten erfahren musste.
Er ist nur noch Haut und Knochen und ergraut. (Sie stehen jetzt unter schwedischem Schutz.) Die Begegnung überzeugt mich davon, dass der Mensch stärker als das Schicksal ist und man alles aushalten kann, solange man ein reines Gewissen hat. Und wenn auch Gott es will.
Ich lese König Lear in Kosztolányis Übersetzung. Die Übersetzung demonstriert das brillante Können eines großen Schriftstellers; nur ist sie nicht Shakespeare. Die Sprache, Kosztolányis Sprache, ist weich; sie flucht nicht, sie lallt und jammert nur, selbst wenn sie die ausgefallensten Schimpfwörter gebraucht. Die Kraft eines Fluches beruht nicht auf Wortreichtum, sondern auf dem Charakter dessen, der die Worte benutzt.
Auf dem Schiff schmuddelige alte Weiber, die ständig schmierige Töpfe und mit verdächtigen Säften gefüllte Näpfe aus ihren Pappschachteln holen und mit klebrigen Fingern essen.
Ein junger Mann, der genauso laut redet wie das Radio. Und das Gleiche sagt.
Ich lese während eines dreistündigen Luftalarms die deutsche Übersetzung von Zauber . (Man hat den Übersetzer, Jenő Mohácsi , deportiert – vermutlich als Dank dafür, dass er Die Tragödie des Menschen übersetzt und der Welt überreicht hat.)
Zauber muss nur leicht gekürzt werden. Er steht auf ziemlich sicheren Füßen, auch wenn er nicht auf hohem Kothurn einherschreitet. Und das, worin sein Sinn liegt (»Nehmen wir eine Kugel … nein, nehmen wir einen Menschen! …«), kann ohnehin kein Schauspieler nach meinen Vorstellungen spielen.
Im Innersten aller Dinge herrschen Langeweile und Erwartung. Diese Anspannung löst sich nur in der Lust und in der Arbeit. Aber der Liebestaumel ist flüchtig. Und den wahren Sinn der Arbeit – den Glauben, Menschen mithilfe des Verstands helfen zu können – hat man uns genommen und zunichte gemacht.
Der Mensch von der billigsten Beschaffenheit: der höhnische Mensch. Er hat ständig ein säuerliches Lächeln im Gesicht und trägt in verleumderischem Ton feige, niederträchtige Beschuldigungen vor, für die er natürlich nicht wirklich einstehen will, denn er spöttelt ja nur …
Es stimmt nicht, dass Hunger und Liebe die einzigen treibenden Kräfte in der menschlichen Welt sind. Ich habe zwei noch mächtigere kennengelernt: Eitelkeit und Neid.
Chartres, Orléans . Und die Amerikaner sind nicht weiter weg von Paris als Gödöllő von Budapest.
»Chartres« – dieses Wort lässt mein Herz höher schlagen. Man hat sich längst abgewöhnt, Städten nachzuweinen. Die Nachricht, dass Florenz mit Kanonen beschossen wird, nahm ich gleichgültig zur Kenntnis. Aber Chartres ist etwas anderes. Es waren zwei Tage, und es war die Jugend.
Und das bläuliche Licht im Dom, das bläuliche Licht der Fenster über dem Eingang!
Schliemanns Buch über Troja. Dieser reiche romantische Kunstliebhaber aus Deutschland, der unter dem Eindruck eines Jugenderlebnisses, der Lektüre der Odyssee , den ganzen Ehrgeiz seines Lebens dem letztlich fast geglückten Versuch widmet, den Schauplatz dieses großen Mythos der Menschheit auszugraben, ist vielleicht der großartigste Menschentyp, den die Deutschen der Welt je geschenkt haben.
In Ithaka entdeckt er, viele Jahrzehnte vor Hitler, die Spuren der Swastika. Dieses hinduistische und chinesische Zeichen in seiner griechischen Version verleitet ihn zu keiner politischen Schlussfolgerung. Er stellt nur bescheiden fest, Swastika habe die Bedeutung »gutes Zeichen«. Aber dieses »gute Zeichen« hat sich durch den Willen eines anderen Deutschen in ein unheilvolles Zeichen für die Welt verwandelt.
In der Bretagne gab es einen Feigenbaum; der Geruch des Fischmarkts in Morlaix; die roten Felsen im dunkelblauen Meer. Und noch einmal die Jugend.
Shakespeare lädt den Leser elektrisch auf, wie es seltene, große menschliche Begegnungen tun. Dieser Strom erquickt, regt zum Handeln an, erzeugt eine Anspannung in einem. Das Publikum, ob auf der Galerie oder in Proszeniumslogen, weiß schon nach dem ersten Aufzug von König Lear , was sich im Laufe des Dramas abspielen wird, der »Ausgang der Handlung« ist klar. Und doch warten wir mit offenem Mund … worauf eigentlich? Auf den »Ausgang«? Nein, auf die Strahlen, die Shakespeares Seele aussendet; auf diesen überirdischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang.
In der dunstigen Eintönigkeit des heißen Nachmittags
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