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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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die Runde, zumal wenn die Geschiedene dabei ist, die bestätigen kann, daß ich’s nicht erfinde.
    30. November
    Trister, nebelgrauer 1. Advent, an dem nur das Telefonat gestern abend mit Grass komisch ist: der wie aus der Pistole geschossen NUR von sich sprach, sein Buch, sein Lektor, seine Reisen, sein demnächstiges Gespräch mit Stefan Heym (geradezu unpassend, als ich erwähnte, daß ich gerade ausführlich mit ihm für die ZEIT gesprochen hatte), sein Krach mit Luchterhand.
    Entsetzlich allerdings, was er von Karasek berichtet. Der hat allen Ernstes in der BUNTEN ILLUSTRIERTEN geschrieben (nachdem er für BILD über die Messe berichtete – solchen wird alles «verziehen» …); aber NOCH schlimmer, WAS er geschrieben hat – nämlich die 10 schlechtesten Bücher des JAHRHUNDERTS vorgestellt. Und das waren – u. a. – Hitlers MEIN KAMPF, Stalins Schriften – – – – und Günter Grass’ RÄTTIN. Das ist schon empörend und widerlich.
    Heute Vorbereitung auf Matta, den ich in 3 Tagen in Paris interviewe, morgen vormittag Déjeuner beim Bundespräsidenten in Berlin. Was er wohl wollen will?
    Hotel Kempinski, Berlin, den 2. Dezember
    Also das Déjeuner beim Bundespräsidenten: pünktlich, liebenswürdig (schickte das Personal weg, bediente selber; ich: «Ich glaube, Sie nehmen den falschen Teller»). «Wollte» nichts Unmittelbares, sich kundig machen über meine Meinung/Einschätzung der DDR-Situation. Hörte genau hin, verlängerte um 1 Stunde, will meinen Vorschlag, statt dieses blöden und selbstgerechten «Tribunals» einen durch ihn zur Figura gebrachten Diskurs zu initiieren, «im Herzen erwägen». Ich: «Aber auch ein bißchen im Kopf.» Im ganzen: ungewöhnlich für einen Politiker.
    Paris, den 7. Dezember
    «What Matta’s to others, doesn’t Matta to me» – diese noch immer in surrealistische Spiele verliebte Matta-Devise (oder: «O l’âme, citoyens …») war komisch, wie der alte Meister mir als skurriler Mensch gefällt, tanzend gelegentlich mit seinen 80 Jahren in seinem von «Prä»-Kunst (prä-kolumbianisch, prä-Benin …) vollgestopften Haus; mit seiner Kunst kann ich weniger anfangen. Dennoch ein farbiger Nachmittag/Abend mit dem hinzugekommenen Cioran (der noch immer unter dem Motto «ich nehme nichts» den herrlichsten Champagner und den köstlichsten Fisch unter Ausrufen wie «remarquable» und mit der Miene eines den Weltuntergang Betrachtenden genießt), dazu die hochelegante, man sagt schwerreiche Domina, die ihn angeblich als Schon-jetzt-Witwe beherrscht, dirigiert, seinen Markt verdirbt und kleine Seitensprünge des Meisters nicht duldet; dazu mit der strengen Prüfer-Miene aller gebildeten Chinesinnen die Witwe Michaux.
    Anders am Abend zuvor, wo ich Adami abholte, der mir wieder sehr gefiel – intelligent, unmodischer im Urteil als in seiner Kunst; dann eine Vernissage, wo ein Wichtigtuer («Mein Vater war der engste Freund von Max Ernst») sich an unsere Fersen heftete; dann zum Max-Ernst-Empfang von Jack Lang, wo sich bei Champagner, gossip und (einigen) schönen Bildern «tout Paris» traf – in dem ich schwamm wie ein Fisch im Wasser: paar Worte mit Lang, Witze mit Chéreau, mal hier Klapheck oder Lyotard, mal dort Werner Spies oder die «Witwe Pasolini» namens Laura Betti. Ich bin so viel «besser» in Paris, genieße, daß die Leute meine Lebendigkeit, Geschwindigkeit, meinen Witz genießen, meine Ohren sind offen, und ich sauge die Stadt förmlich ein: die Géricault-Ausstellung oder eine mit afrikanischer Kunst, Giacometti oder noch mal Picasso-Museum, Louvre Médiéval oder Louvre des Antiquaires – alles, jedes Essen, jeder Wein ist ein Genuß. Hätte/Wäre ich … – damals, vor 45 Jahren …?
    13. Dezember
    Meine psychische, physische und nervliche Empfindlichkeit: Ich schneide mir ständig die Haut mit Briefpapier auf, wenn ich es mit der Kante an einem Finger entlanggleiten lasse.
    Wundere mich selber, daß ich noch arbeiten konnte – und sei es die kleine «Polemik»-Philippika, mit der ich vorgestern den Kieler Landtag eröffnet habe. Pointe innerhalb der Pointe: Nach meiner Politikerbeschimpfung in Gegenwart mehrerer Minister, Abgeordneter und der Landtagspräsidentin, die mich eingeladen hatte, gab ich das übliche 3-Minuten-NRD-Interview in der Eingangshalle – – – – und als ich mich danach umdrehte: war die Halle LEER. Personne . Kein Mensch von all denen, die kopfschüttelnd oder protestierend mein Ausziehen des tiefen Grabens zwischen

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