Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Sommer mit «Fabelhaft, Fritz, endlich Feuer auf der 1 – die Pranke des alten Löwen» am Telefon. 1 Stunde später die dusselige Gräfin im Lift: «Ach, da brauche ich Ihnen ja keinen Brief mehr zu schreiben, um zu sagen, wie fabelhaft ich Ihren Artikel finde.» So ging das den ganzen Tag – als seien meine Artikel über Thomas Mann, Powys, Brodkey etc. nicht VIEL besser, intensiver, wichtiger, gebildeter auch. Es hat etwas von Theaterkantine: «Gertrud, du warst heute wunderbar.» Am nächsten Tag ist das vergessen – und wehe, es kommt irgendein Ärger, ich habe irgendwas verwechselt, durcheinandergebracht – noch morgen werde ich ans Kreuz genagelt. Hatten wir ja schon …
Hôtel Lutetia, Paris, den 26. März
Wo beginnen?
Ich treibe wie Treibholz durch Paris – mal mit dem Wirbelsturm namens Inge Feltrinelli zu 6 Personen im «Lipp» (u. a. mit dem momentan erfolgreichen amerikanischen Romancier Richard Ford und einem englischen Literatur-Agenten, Ed Victor, der sich noch daran erinnerte, wie ich 1969 die rebellischen Studenten, an der Spitze Danny le rouge , in den «Hessischen Hof» lotste und dort eine «revolutionäre Rede» hielt – wahrlich tempi passati ); mal – sehr logisch – auf dem Edel-Flohmarkt in Clignancourt, wo ich leichtsinnig eingekauft habe, eben jenen «Plunder» – aber ich sage mir: In 10 Jahren bist du tot, warum nicht jetzt sich noch an etwas freuen?; mal in der Corot-Ausstellung, wo ich sein Licht, seine schönen Portraits und, Höhepunkt, die «Nude Romaine» (??) erstmals richtig entdeckte – ein Wunder von einem Bild, eines von denen, die/das ich stehlen möchte – und mal alleine im «Récamier» luxuriös essend und des süßen Freundes Cioran gedenkend, mit dem ich dort oft gesessen und der mir vorausgegangen.
Hôtel Lutetia, Paris, den 27. März
Der Verteidigungsminister als Lyriker: M. Chevènement, mein Interviewpartner, sagte auf mein dickes Eingangskompliment (zu seinem Buch) geschmeichelt: «Vous le trouvez bon?» Das Schön-Schreckliche an Frankreich – es geht alles so reibungslos-höflich im Pardon-merci-bonne-journée- Rhythmus; aber es ist nie so gemeint. Und man interessiert sich immer für das Andere: bei Marx z. B. (Monsieur hatte mein Buch gelesen) dessen Familienleben, das uneheliche Kind, die schauerliche Algerienreise – nicht seine diktatorischen Gelüste, sein ordinär-rüder Kampf gegen Bakunin oder Lassalle.
31. März
Besonders farcenreiche Tagebuch-Eintragung; denn: Es ist eine über das (mein) Tagebuch. Leicht absurd: Gestern langer und überraschend angenehmer Abend mit dem neuen Rowohlt-Chef Niko Hansen – – – über einen möglichen Vertrag für eine «spätere?» (Hauptfrage: wann ist später) Publikation meiner Tagebücher. Meine – unvernünftige? – Idee ist, JETZT mit einem Verlag abzuschließen und JETZT dafür Geld zu kassieren, ohne die Tagebücher, natürlich, JETZT zu veröffentlichen. Am liebsten erst nach meinem Tode.
Ansonsten macht der Mann einen guten Eindruck. Weniger verspielt, als ich dachte, unterhalb seiner wohlerzogenen Lächel-Ebene ganz ernst, wohl auch hart, quasi die männliche Variante von Maria Augstein: scheinbar somnambul und leichthin, in Wahrheit Drahtseile in den Nervensträngen. Dann war’s wohl doch die richtige Wahl für «meinen» Sessel.
Bestochen hat mich auch die lässige Eleganz des jungen Mannes aus gutem Hause, der gar mit Grazie die Forelle zu zerlegen weiß, der das schöne alte englische Buttermesser, die eckigen Scharniere einer Teekanne so gut sieht und goutiert wie eine afrikanische Skulptur, ein Hundertwasserbild oder die Minnebronzen. Durchaus nicht mit der «Was-kostet-der-Fisch»-Vulgärheit eines Karasek, sondern mit leise genießerischem Behagen. Könnte mir den sehr gut alt werdend vorstellen.
Kampen, den 5. April, Karfreitag
Im SZmagazin interessantes Interview mit Barenboim, der mit mehr Recht und mehr Autorität das sagt, was ich so oft in Konzerten denke (und auch manchmal sage): «Musik existiert im Grunde überhaupt nicht, auch nicht die FÜNFTE von Beethoven. Sie war zunächst nur in seinem Kopf, dann hat er schwarze Flecken auf weißem Papier notiert. Das ist aber noch keine Musik, es sind nur Zeichen.»
«Nur Zeichen» – DAS ist eben der Unterschied zur Malerei, bei der genau das «Zeichen» – und sei es ein Miró-Kringel – bereits die Kunst selber ist, keine «Übersetzung», keine Interpretation braucht. So in der Literatur – jeder BUDDENBROOK-Satz,
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