Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
lebe in Mexico, jedes Gericht mit mexikanischem, jede Währung mit der mexikanischen verglichen, und wie göttliche Verlautbarungen werden «Das erlaubt Daniel nicht» oder «Da würde Daniel aber sagen» weitergetönt. Die Macho-Befehle dieses alten Mexikaners berichtet sie kokett kichernd, wohl als Liebes-, mindestens als Besitzbeweise wertend.
Kampen, Ostersonntag
So sitze ich nun also in meinem neuen «Schloß» – d. h. im erweiterten Handschuhfach, selber vollkommen erstaunt, daß mir das tatsächlich gelang und «vergönnt» war/ist; ein wenig kommt’s mir vor wie das Herausfordern des Götterneids (der heutzutage ja mehr von Menschen, i. e. Kollegen, exekutiert wird) – es ist so «schön» geworden, so gemütlich, letztlich ja immer noch klein, aber doch eben ein zweiter Raum und optisch mehr als das. Nach dem eigenartigen un-logischen Prinzip von 2 x 2 = 5 wirken zwei ineinandergehende Räume, zumal wenn sie durch so eine große Flügeltür verbunden sind, zusammen größer als die Summe ihrer Fläche, es sind irgendwie mehr als die zwei Räume. Das hängt wohl mit dem Optischen, mit der sich ergebenden Perspektive zusammen – die hier besonders schön gelungen ist, da ja die beiden Räume nicht lediglich zwei aneinandergereihte Quadrate sind, sondern Vorsprünge und «Rücksprünge» haben.
Jedenfalls habe ich nun meinen «eigenen» Raum (wobei der bisherige allerdings nach wie vor der schönere ist …), mein Schreibtisch steht, ich kann Bücher ordnen, Pullover oder Manuskriptpapier, alles hat seinen und mehr Platz. Das 2. Bad ist von Gerd bezogen – vermutlich mein letzter «Traum», den ich mir erfüllt und erkämpft (und bezahlt!) habe. Mehr muß übrigens auch garnicht sein – seltsamerweise habe ich garnicht das Bedürfnis nach 20 Zimmern oder dem Schloß.
Gestern zur Italienreisen-Vorbereitung Heine gelesen, voller Bewunderung wieder, er löst schon ein großes Echo in mir aus. ABER: vollkommen ekelhaft sein Platenangriff, darüber wird zu handeln sein beim Italienreport.
Heute morgen langes Telefonat mit Hochhuth, der mir u. a. eine sehr schöne Geschichte erzählte: Ein Münchner (Mode?-) Maler, der auch eine Zeichnung von ihm gemacht hat, lädt den Bundespräsidenten zur Vernissage ein. Der sieht die Hochhuth-Skizze und sagt: «Ich bin ja nicht einverstanden mit vielem, was er schreibt, aber …» – und dreht sich zu einem Porträt von Johannes 23. –: «Dieser hat ja gesagt, er habe recht.» Wie nobel – zumal Hochhuth den Vorgänger dieses Papstes ja wacker attackiert hat – und welch Unterschied zum Herrn Kohl, der sich im/beim Vatikan für «einen gewissen deutschen Schriftsteller» entschuldigt.
7. April
Von Sylt direkt nach Berlin, zu einer sinnlosen TVdiskussion. Groteskerweise spricht mich eben auf der Straße der «Terroristenanwalt» Groenewold an, der mir erzählte, er hätte DEN GESAMTEN Briefwechsel mit der RAF aus dem Gefängnis, Baader, Meinhof etc. – was er damit wohl machen könne.
Gestern las ich den eben erschienenen Nachlaßroman DER KLEINE HAUPTBAHNHOF von Hubert Fichte: in dem ich eine ziemliche Rolle spiele. Albernerweise unter anderem Namen, aber jedem Eingeweihten erkennbar.
Hochinteressant, fast ein Seminarthema: Was stimmt, und was stimmt nicht. Wie weit darf, muß, kann ein Romancier die «Wahrheit» verfälschen? An diesem Buch könnte ich die Drehung weg von der Wahrheit vom «wie es gewesen ist» Satz für Satz nachweisen. Nicht (wie es das übrigens tatsächlich noch vorhandene Foto zeigt) aus Ursula Lefkes’ Schuh tranken wir in meinem «Studio» Champagner, sondern aus dem der guten Larissa; nie gab Wunderlich ein Fest «ganz in Weiß»; Fichte und ich aßen weder Austern im Brahmskeller (die es da nicht gab), sondern Muscheln (was ihm wohl nicht fein genug war – wie auch der Monatsbetrag für Konrad Bayer nie 5000 Mark war); die ganze Konrad-Bayer-Ledig-Badezimmer-Scene habe ich genauer fixiert in meinem Ledigporträt, und fast alles, was er über die Tagung der Gruppe 47 schreibt, stimmt so nicht (wobei man wieder fragen könnte, ob denn MEIN Gedächtnis «stimmt»); aber GENAU weiß ich z. B., daß er mit Bobrowski nicht reden, sondern FICKEN wollte (und’s auch tat), als ich ihm mein Zimmer dafür gab.
Interessant und schrecklich für mich ist, mir mehr und mehr klarzumachen, daß ich in jener Zeit – da ich mich mit Autoren befreundet wähnte, als ihr Förderer mir vorkam – von denen nur als fischäugiger, ZU korrekt
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