Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
gekleideter Verlagsmanager gesehen und ge- bzw. mißbraucht wurde. Ich begriff damals nicht, daß für jeden Autor NUR wichtig ist, daß ihn EINER druckt, letztlich egal, WER; eine Art Büchsenöffner. Betrachtet so ängstlich-verächtlich, wie Maler Sammler betrachten. Ausnahmen wie Hochhuth, der mich allen Ernstes in diesen Wochen beim Kultursenator als Intendant des Schauspielhauses vorschlug (was der, der sonst schleimig um mich herumwimmelt: «Was können Sie für die Kultur in Hamburg tun, Herr Raddatz?», mit drei eisigen Zeilen beiseite fegte), sind NICHT die Regel, sondern die Ausnahme.
11. April
Gestern abend ein vergnügt-«junger» Wunderlich zum Essen, zurück aus Südfrankreich, wo er das Nachbarhaus dazugekauft hat, vielerlei Umbaupläne erzählt wie ein Kind vom neuen Spielzeug, heiter, gelassen, von dem Wein, der nach «ihm», will sagen seinem Besitz, genannt werden soll, von dem neuen kleinen Hund, von den Herren seiner Töchter respektive Stieftöchter: Er ist eben ein Lebenskünstler, verantwortlich nur sich selber, insceniert sein Leben und das Leben um ihn herum mit Grandezza, erzählt begeistert von einem neuen Litho-Verfahren, das er entwickelt hat (was auch seine Verliebtheit in seine Kunst zeigt) – und nur vollkommen entgeistert von den Dix-Erben, die er dort unten – sie leben wohl in Südfrankreich – kennengelernt hat: neureiche Halbverwandte mit eigenem Flugzeug. Dazu hat ein sozial engagierter Künstler wie Dix gelebt? Es zeigt vor allem eins: Man kann den Tod nicht überlisten, man kann nicht «richtig vererben» (wie ja auch dieser Tage die Intrigen um das Springererbe zeigen – genau 20 Jahre nach den «Enteignet-Springer»-Demonstrationen. Wie ein Akkord dazu heute Enzensberger in der ZEIT: «Wir werden alle vergessen werden, der eine früher, der andre später.»).
Das entzündet die Finsternis in mir, bei dem nichts geregelt, nichts heiter ist.
Warum geht in meinem Leben alles nur per Kampf, per Druck – nie etwas, noch nicht mal jetzt im Alter, seinen normalen Gang? Schlafe nur noch mit Adumbran, traue mich wegen des Cholesterins kaum, etwas zu essen, in kostbaren Schalen Süßstoff, in Jugendstilgefäßen Diätmargarine und in der Empirebutterdose (auf der besser statt einer Kuh eine Rapsblüte wäre …) Margarine.
14. April
Gadamer. Gebildeter Schwätzer. Man kann auch Plato und Nietzsche gelesen und dennoch nur Phrasen im Mund haben.
Unter dem Motto «Überleben ist alles» gibt der 88jährige pseudo-salomonische Weisheiten von sich, und zwar zu jedem Welträtsel eine: der Abend doppelt-irrsinnig. Claus Grossner versammelte TATSÄCHLICH ca. 20 «hochkarätige» Leute, fast alles Professoren, und zwar nicht irgendwelche, vom Bach-Spieler bis zum Präsidenten von DESY (was ich für den Titel eines Unterhaltungsromans hielt; ist aber eine physikalische Forschungsstätte).
Die setzt er um einen großen Tisch (mit gutem Buffet, immerhin) und «moderiert wie eine Lokomotive» (Kunsthallenchef Hofmann): Jeder darf 3 Minuten was sagen, Gadamer notiert und antwortet nach 5 Fragen. Also quackelt der Bachfachmann was über «Musik ist bloßes Zeichen», der Physiker was über Kernforschung und der Bildhauer was «über den Stein» – oder ich was über die ausgehende Ära der Aufklärung. Während der 4 – 5 Fragen kritzelt der alte Gadamer wichtigtuerisch was auf seine Tischkarte – um dann zu JEDEM Thema – «Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Bemerkungen» – etwas Weises zu sagen. Peinlich.
Wozu nimmt man an so was teil – wozu tun’s die anderen, hochmögende Leute? Ist doch verschwendete Lebenszeit?
Das nächste – ewige – Rätsel: NIEMAND dort weiß, bei wem er eigentlich eingeladen ist. Wie jemand neulich vom alten Warburg berichtete, daß der auf Befragen gesagt habe: «Grossner – ja, kenne ich –, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was er eigentlich macht.» So fragte mich mein Tischnachbar Hofmann dasselbe: «Was tut er eigentlich, wer ist das überhaupt, wovon lebt er?» NIEMAND weiß es – aber alle, oder viele, gehen hin. Ein typisches westdeutsches Phänomen; selbst in diesem engsten Sinne «geschichtslos».
Apropos: auch da peinlich-banale Läppischkeiten von Gadamer: «Ohne die Motetten hätte ich die schweren Jahre 1938 – 45 nicht überlebt.» Wie viele Millionen haben sie OHNE Motetten NICHT überlebt – und WIESO hat ER, in Amt und Würden offenbar, überlebt? Und wieso stehen nun alle vor dem Schwafler stramm und bitten um
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