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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Rapidität, mit der das dem Ende zuging. Der letzte Ordner mit der banalen Goethe-Affäre: grotesk und grausig.
    Hôtel Lutetia, Paris, den 24. Juli
    Seltsames Paris: steht Kopf über den «Wolkentrinker», ein 1wöchiger Marathon mit der Presse, 12 Zeitungen, 4 Radios, Déjeuners, Diners. Und «zu Hause»? Hier habe ich mich durchgesetzt als Autor, bin gar berühmt, Cioran sagt: «Man kennt Sie», und Tournier macht Komplimente am Telefon, will’s rezensieren; immerhin der eine der anerkannteste, der andere der erfolgreichste französische Schriftsteller.
    Saß gestern eine Stunde im spätsommerlichen Jardin du Luxembourg, vor mir 2 Burschen, die Brot aus der Hand aßen, Wurst mit dem Taschenmesser und etwas Obst – so saß ich hier auch mal, vor ca. 30 Jahren, abgerissen und verhungert.
    Jetzt lebe ich in Suiten, fresse Austern, saufe Champagner, kaufe bei Yves Saint Laurent und bin «berühmt». Bin ich glücklicher?
    Verstehen tue ich die Stadt nicht. Frage bei Yves Saint Laurent im Faubourg nach einem Anzug; sie haben den nicht; ich sage, ich hätte den aber gestern bei Saint Laurent am Place Sulpice gesehen. «Ah-ça.» Das ist auf einem anderen Kontinent. «Là on a la clientèle pour des choses comme ça.» Auf deutsch: «Dort tragen die Neger Ringe durch die Nase …»
    26. Juli
    Die ZEIT hat «Fußpilz»; irgendeine diffuse Chemie-Störung vergiftet die Atmosphäre. Kaum jemand arbeitet mehr mit Lust, gar Begeisterung, es wird «Dienst nach Vorschrift» absolviert – und so sieht’s dann ja auch aus. Keiner spricht mit keinem, jeder belauert jeden, und der böse Geist scheint Helmut Schmidt zu heißen, der doch allen Ernstes die schlipslose Kluft der jungen Redakteure beklagt, den Umstand, daß sie alte Zeitungen paketweise auf die Flure legen (an denen er dann irritiert mit seinen abgehalfterten Potentaten «entlangschreiten» muß).
    2. August
    Sonnenblumen im Krug, auf dem Tisch die ersten Dahlien, die Vogelbeeren färben sich: Das Jahr neigt sich. Beklemmung.
    Nervosität auch vor der heute mittag stattfindenden Sitzung beim Senat über den Fortbestand der Tucholsky-Stiftung; wenn’s da ernsthafte Schwierigkeiten gibt – wie soll ich dies Vermächtnis der Mary fortführen? Bin wieder einmal berührt von seinen Texten, die ich wegen der x-ten «Nachlaß-Edition» am Wochenende in Sylt las. Eine Art «Unterabteilung» von Berührtsein: Er wußte, wie scharf und polemisch immer er war, daß er sich auf SEINE Leute – Siegfried Jacobsohn vor allem – verlassen konnte. Sein Blatt stand hinter ihm. Bei mir genau umgekehrt, sie wollen einen viereckigen Kreis: Schärfe und Attacken, die niemandem weh tun.
    Wenn Charakterlosigkeit und Verrat zusammenkommen: Hans Mayer läßt sich von Herrn Jens einen (Bloch-)Preis verleihen, aber meldet sich bei mir wegen einer (mir unerfindlichen und unbekannten) Lappalie nicht mehr. Aber genau dem Jens hatte er «Blutrache» geschworen, und zwar WEGEN Bloch!! Weil Jens und nicht er bei dessen Beerdigung sprach. Ekelhaft.
    9. August
    Lächerlich-verquackelter Abend mit Marlis Gerhardt, die zur Aufnahme der Sendung im Süddeutschen Rundfunk aus meinem Heine-in-Italien-Essay hier war. Nett, zuviel Champagner. Aber ich bin das anscheinend nicht mehr gewohnt, so banale Klatsch-Stunden. Daß Unseld mit der von Minks noch nicht geschiedenen Ulla Berkéwicz lebt, sie gar heiraten will (selber gerade geschieden) – – – was auch des Rätsels Lösung für die massive Verlagsreklame für deren Un-Bücher ist; daß Klaus von Dohnanyi, kaum Nicht-mehr-Bürgermeister, schon geschieden ist und allen Ernstes mit Ulla Hahn lebt; daß ein Frankfurter Kritiker seinen Machtwahn bis ins Bett ausdehnt und nun ein Verhältnis mit der Suhrkamp-Cheflektorin hat; ich muß gestehen, daß es mich alles nicht wirklich interessiert.
    Aber ich werde wohl immer sonderbarer. Eben, noch brummenden Kopf vom Laurent-Perrier und die Tagesarbeit am Schreibtisch hinter mir (brav-diszipliniert), gehe ich ein bißchen spazieren – und ertappe mich, wie ich tatsächlich wie ein alter schwuler Professor aus nem billigen Film einem muskulösen Bauarbeiter OFFENEN MUNDES nachstarre, der mit mächtig spielenden tätowierten Muskeln irgendwelches Gestänge auf einen LKW lädt. Nicht, daß man mit so was wirklich ins Bett wollte – es ist eben nur das GANZ ANDERE.
    Das ganz Andere dringt aber auch verwirrend in anderer Form ein: Anruf von einem der STERNchefredakteure: Sie wollten TRANSATLANTIC kaufen, und es

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