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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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gäbe nur EINEN denkbaren Chrefredakteur – FJR. Also nicht, daß ich das besonders ernst nähme, ist das Interessante daran, sondern daß ich eher ängstlich reagiere, jede Veränderung meines Status quo beunruhigt mich. Und die Idee, wieder irgendwelchen Autoren nachlaufen zu müssen, um das Einhalten von Terminen oder die Länge respektive Kürze von Texten bitten – kurzum, meine Ideen anderen «leihen» zu sollen, schreckt mich. Wie unlogisch; denn erst kürzlich, als ich Briefe von Siegfried Jacobsohn las, war ich ein wenig traurig, diese Begeisterung am intellektuellen Inscenieren zu sehen – die mir nun versagt ist. Hat man’s, will man’s nicht, hat man’s nicht, will man’s.
    20. August
    Absurditäten zuerst: Was schickt mir Wunderlich gestern früh «zum Frühstück»? Ein Buch («Der Rote Kampfflieger»), in dem AUF EINER SEITE GEMEINSAM sein Vater und mein Vater abgebildet sind – «Kameraden»!!! Die Chemie des Lebens ist nicht zu fassen (und wäre, so, in einem Roman nicht zu schreiben, würde als «unwahrscheinlich» abgelehnt). 50 Jahre später treffen sich ein junger, damals noch unbekannter Maler und ein ebenso junger, ebenso unbekannter Literat, es beginnt eine Lebensfreundschaft, mit wechselnden und wechselseitiger Karriere, Karrieren, auch «sonstigen Überschneidungen» – – und nun, viele Jahrzehnte später, stellt sich heraus, daß die Herren Väter in derselben hochfeinen Elitetruppe waren, sich demnach sehr gut gekannt haben müssen. Gedanken und Bilder sind garnicht aufzuhalten – wie lange kannten die sich? Sind Paul und ich nach einem besoffenen «Kameradschafts-Abend» entstanden …?
    Der einzige, der diese Bizarrerie genauso komisch fände, wäre wohl Hochhuth. Den sah ich vor 2 Tagen in Zürich, Mittagessen in der schönen Kronenhalle – und war entsetzt. Ein Mann, der keinen Satz zu Ende sprechen, geschweige denn denken kann, dessen Assoziationsstürze immer heftiger und kürzer werden, der eben noch vom Selbstmord der Frau des Giftgaserfinders im 1. Weltkrieg spricht und schon bei Piscators Millionärsgattin ist, deren reicher Mann namens Deutsch – warum hießen so viele Juden Deutsch? – Mitbegründer der AEG mit Rathenau war (und, auf dem letzten Schiff nach Lissabon, von Salazar zurückgeschickt, umgebracht wurde); eine Minute später erzählt er von dem Matrosen, der bei der Vernehmung von Marie-Antoinette diese, als sie in ihrem langen Kleid auf einer Stufe zu stolpern drohte, am Arm hielt – und dafür geköpft wurde. 1 Minute später ist er bei Helmut Schmidt, der ihn «empfangen» habe (und natürlich gleich ein Dramenthema für ihn wußte – Lassalle); aber er spricht im selben Ton von «Empfangen» wie Lenz neulich im Intercity vom Präsidenten, mit leicht eingeknicktem Kehlkopf, gleichsam. In Wahrheit geschmeichelt über: «Er hatte 3 ½ Stunden Zeit für mich.»
    Was mich an derlei AUCH bedrückt: die zunehmende, bald perfekte Einsamkeit, Isolation aller Menschen voneinander. Hochhuth sieht und spricht niemanden, liest keine Zeitungen, Bücher von Kollegen schon garnicht. Er weiß nicht, ob (daß) TRANSATLANTIC überhaupt noch erscheint – interessiert sich entsprechend auch nicht für meine diesbezügliche Frage um Rat –, glaubt allen Ernstes: «Rühmkorf hat mich bei Wunderlich schlechtgemacht» – weil Wunderlich nicht seine, Hochhuths, Gedichte illustriert –, als gäbe Wunderlich etwas auf Rühmkorfs Wort; dafür erinnert er sich aber, daß Rühmkorf in irgendeiner Ledigfestschrift etwas gegen ihn, ohne Namensnennung natürlich, geschrieben habe – muß Jahrzehnte her sein. Auf meine Erwähnung des neuen Grass-Buches hin kommt nur ein: «So, hat er ein neues Buch geschrieben?»
    27. August
    Noch ein erstaunlicher Paris-Eindruck: Allenthalben sagten mir die Presseleute, daß sie das Sujet meines Romans auch deswegen so fasziniere, weil man ja in Frankreich davon «garnichts wisse»: von Berlin nach dem Krieg, von der Teilung der Stadt, vom 17. Juni – – – absurd, diese Unwissenheit respektive nationalistische Beschränktheit. Neulich ein Gespräch in Nizza, in dem die Leute ganz verblüfft fragten, von was für einer Mauer man denn nur unentwegt spräche …
    29. August
    Eher peinigend-peinliches Mittagessen mit dem STERNchefredakteur, der mir «namens des Verlages» (und das ist in diesem Falle auch noch mein Hausnachbar!) einen 7-Jahresvertrag als Chefredakteur von TRANSATLANTIC anbietet; wenn Gruner & Jahr es überhaupt zu kaufen

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