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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Rasen, ein Flimmern, jedes Här’chen auf der Haut elektrisiert – meine große Liebe. Sie zischte, als hätte ich mit bloßen Händen in eine (nach einer) Sternschnuppe gegriffen; ich erinnere jeden Moment, Eckfrieds erstes Lächeln, wie ich ihn ansprach in der Bar mit dem elektrischen Piano, unsere erste Nacht auf der Dachterrasse (wo, böses Omen?, seine Brille zerbrach), wie wir ineinander fielen, stürmten, rasten – ich hatte so ungezügelte Sexualität noch nie erlebt. Gestern bohrten sich viele kleine Messer in meine Erinnerung: das Sénéquier, wo ich auf ihn wartete; Le Gorille, wo ich frühmorgens Tonic für unsere verbrannten Schlünde holte; die Mole, an der wir parkten und ineinander so versunken waren, daß wir nicht merkten, wie jemand mich ansprach. Das Restaurant auf/neben dem Turm, wo der Wein in unseren Gläsern zitterte – der 2. Abend – und wir Speise um Speise unberührt fortschickten; der Kellner freute sich ganz ungeniert an unserer Verliebtheit; die Ecke, an der ich Blumen für ihn brach.
    Und heute? Wie kühl, satt, komfortabel-tot ist dagegen mein Leben. Was ich heute bei einem Abendessen ausgebe, davon lebte ich damals 3 Wochen, jetzt parkt der riesige Jaguar, wo mein VW-lein hüpfte mit den albernen weinroten Samtrippenpolstern. «Karriere gemacht»? Mein Gott, was liegt hinter mir: Jochen tot, Bernd tot, Rowohlt, die ZEIT. Jetzt kaufe ich am Hafen mein eigenes Buch in Französisch, wo ich damals Sonnenöl für Eckfried kaufte.
    Hôtel La Prieuré, Avignon, im September
    Die Pariser Presse beginnt, mit dem «Buveur de Nuages» umzugehen. Ich deutele mir’s auf «positiv» um, obwohl vielleicht der Satz im Nouvel Observateur, le fameux Bernd sei letztlich unsympathisch, vielleicht doch ein «Verriß» ist? Jedenfalls kränkt er mich; unlogischerweise – ich will diese literarische Figur ja nicht verklären, bin sie und bin sie eben wieder nicht. Lady Macbeth ist auch unsympathisch! Sympathie ist doch kein literarisches Kriterium?! Wie ginge das mit dem «Ich» von Rousseaus Confessions. Quark. Ärgerlich, wie leicht ich mich ärgere. Selbst über Klatsch: Bucerius habe einem bei ihm eingeladenen Modearzt genüßlich bei dessen «Dieser grauenhafte Raddatz»-Schmähungen zugehört und «on top of it» gesagt: «Und was der uns auch noch kostet, was der für unverschämte Spesen abrechnet.» Als lieferte ich nicht auch «teure Ware». Diese Koofmichs wollen eine detailgetreue Reportage aus dem Ritz – aber einen Camping-Platz zahlen. Was für ein sandalentragender Lacoste-Spießer dieser schwerstreiche Verleger doch ist; keine Spur von Ledigs Charme, Charisma und Eleganz. Kleiner Mann.
    Hôtel Lutetia, Paris, den 29. September
    Die französische «Explosion» des «Wolkentrinkers»; aber darüber später.
    Nur rasch ein wieder, wie immer, skurril-heiter-kluges Mittagessen mit Cioran (der, absurd, einst in derselben Straße wie meine Schwester wohnte; dort um die Ecke, Rue Racine, ernte ich nun bei Flammarion meine Erfolge). «Vive la France …», erzählt er, bei gutem Wein und köstlichem Essen seinen Pessimismus pflegend, habe er einmal als junger Mann ausgerufen, als er, per Fahrrad durch England reisend, zum Abend einen winzigen Fisch serviert bekam. Aber auch die mit listig-lustigen Augen abgeschossenen Lebensweisheiten sind «treffend», vor allem mich, der wohl genau das sein Leben lang falsch gemacht hat: Man dürfe nie Erfolg zeigen, Zufriedenheit, nie sagen, es gehe einem gut; man müsse vielmehr stets den Eindruck erwecken: «Der arme Cioran, er hat nichts zu beißen, und lange macht er’s auch nicht mehr» – dann bliebe der beißwütige Neid aus. Fast eine Antwort auf meine ewige Selbstquäl-Frage: «Warum treffen mich so viele Blitze»: weil ich immer so tue (auch, wenn’s mir sauschlecht geht), als tänzle ich auf der sunny side of the Street durchs Leben, als habe ich Geld, Glück, Erfolg und habe noch nie etwas anderes als Champagner getrunken …
    Wozu mich der «Erfolg» hier sehr ermuntert. Wenn auch die Oberflächlichkeit der Literaturkritik mich dem Jubelgeschrei gegenüber mißtrauisch macht. Manchmal denke ich wie ein Masochist, ob die skeptischen Stimmen der deutschen Kritiker nicht eher recht haben als das «j’adore ce livre»-Geschrei.
    Hôtel Lutetia, Paris, den 2. Oktober
    Wie anstrengend (und leer?) Hedonismus doch ist. Eine Woche «Amüsement» hat mich viel mehr angestrengt als intensive Arbeit an einem Manuskript, schrecklich, wie immer

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