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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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«näher», immer wahrer Max Frischs Satz wird: «Leben ist langweilig. Abenteuer gibt’s nur beim Schreiben.»
    Sehr schön, wieder mal im Musée Rodin, in Balzacs Haus, immer mal wieder im Louvre des Antiquaires und im Récamier essen (wobei alles unter 1 Stern in Paris fürchterlicher Fraß ist, aufgedonnert und fast stets mit schlechter Bedienung): aber zwischen Chéreau-Premiere und kleiner Händel-Oper.
    Besonders intensiv-sonderbar die Tage mit der Schwestern-Schnecke (die vor 2 Stunden, tränenüberstömt, via New York nach Mexiko zurückflog). Wie 100 % weiblich sie ist. Vorsichtig-behutsam (wie alle Frauen, als müßten sie ständig Ungeborenes schützen), aber zugleich beharrlich Ziele und Wege verfolgend. Erschleichend-schneckenhaft eben. Schnecken können ja auch über Rasierklingen kriechen, ohne sich zu verletzen. Einerseits vollkommen unselbständig, immer wieder «Wie komme ich dahin?» oder «Wo ist die Rue de Bac?» fragend, aber mit sicherem Instinkt das Geschäft mit Schüh’chen und Strümpfchen (mit Schmetterlingen eingewebt) findend. Auch die selbstverständliche Unterordnung – «Wie willst du dein Brötchen?», «Möchtest du deinen Saft gemischt?», «Hier sind deine Cigarren». Zugleich – hängt das miteinander zusammen? – die Selbstverständlichkeit, sich «aushalten» zu lassen: Nach 14 Tagen Europa, Sylt, Paris, bezahltem Ticket von Mexiko und immensen Krankenhauskosten – kriege ich nicht mal eine Krawatte, einen Kir angeboten – schlichtweg nichts.
    Steigenberger Hotel, Stuttgart, den 9. Oktober
    After-Fair-Weekend: nach Frankfurt Freitag Richtung Marktheidenfeld, Hotel Anker zum gemütlichen Relax-Wochenende – 2-Sterne-Abendessen in Wertheim, Schwimmen und Sauna, Bummelfahrten durchs Taubertal und die Indian-Summer-überstrahlte «romantische Straße» lang. Gerd heute in Würzburg in die Bahn gesetzt – nun weiter zur Mehring- und Hermlin-Sendung. Das Wochenende im Weinland – von den Bergen an der Bocksbeutel-Straße leckten die in blaue Netze gehüllten Rebstöcke wie Chow-Chow-Zungen herab – war wunderschön.
    Die Messe-Flashlights bißchen düster: der diensteifrig um Frau Henkel tänzelnde, … heringshändlerhaft schlawinernde Unseld, ihr seinen Evangeliar-Reprint für 28.000 andienend; der elegante Ledig, der zu all und jedem sagt: «Es interessiert mich nicht» – was interessiert ihn denn? Nur Montechristo-Cigarren? George Weidenfelds Hotelhallen-Blick, mit dem er beim steten «so nice to see you» einem über die Schulter blickt, wo der nächstwichtigste Mensch steht; die erloschene Tunte Horst Krüger, mir auf einen Cocktail (!!!) von seinem Selbstmordversuch erzählend und lauernd zu fragen: «Sie sollen ja nicht mehr im ZEIT-Impressum stehen!?»; der gräuslich-«sachliche» Herr Honnefelder vom Suhrkamp-Verlag, rosig und praktisch, der kein Wort verliert über das 100-Bilder-Projekt außer Zahlen und Daten; Stefan Heym, der sich so/zu wichtig nimmt, daß er auf meine massivsten Komplimente reinfällt – und zugleich ganz selbstverständlich «wir Juden» zu mir sagt; der grobgeflochtene Jürgen Kolbe, nun mit 800.000 DM Jahresgehalt Bertelsmann-Chef, der mir zwischen Suppe und Fisch erklärt, wie er nun vis-àvis dem alten Knaus «hart» sein wird, und auf meine Frage, wie er denn auch beim (kranken) Siedler in den Verlag eingreifen will, sagt: «Er hat 20 %, ich habe 80 %.»
    Ich!!!
    Lemuren und Karikaturen.
    15. Oktober
    Graubrauner Herbsttag mit fallenden Blättern, Riesenlappen segeln durch die Luft. Murkeltag zu Hause, aufräumen, lesen. Post erledigen – – – und paar Tagebuchnachträge; zurück aus Frankfurt – Stuttgart – München.
    Der letzte Messetag in Frankfurt brachte immerhin noch 2 Ausnahmen vom Lemuren-Kabinett: Umberto Eco, der trotz des Millionenwelterfolgs völlig «normal» geblieben ist, nett, kollegial und unprätentiös. Und das seltsame Chagall-Paar Gisela von Wysocki und Heinrichs; in einem libanesischen Restaurant Pfefferminztee trinkend, händchenhaltend und kleine Kräuterbreis essend, unentwegt von «Ich entdecke mich ganz neu» oder «Meine Strömungen sind so anders» von sich gebend (heißt das «new age»? Was bin ich altmodisch-bieder und «unverändert», nix 68er und nix Innerlichkeit und nix New-Age. Old Age!).
    Dann das schöne Wochenende in Marktheidenfeld in den Schweizer Stuben bei Wertheim, im «goldenen Herbstlicht» die Romantische Straße und die Bocksbeutel-Straße im Auto entlanggebummelt, da (in

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