Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
sieben auf der Straße steht und sich schminkt! Zwischen den bereits aufgebauten Ständen schaute sie sich nach Blumenlieferanten um. Einer pfiff ihr hinterher, ein anderer schaute sie erstaunt an. Der war schon älter, das war gut. Sie lief weiter, als ob sie ihn nicht gesehen hätte und schaute dann nach, wohin er ging, um seine Blumen zu entladen. Neben dem Lastwagen stand eine Frau! Da hatte sie wohl keine Chance. Es sei denn … sie blieb in einiger Entfernung stehen und beobachtete die parkenden Laster. Es interessierten sie nur die mit den italienischen Nummern. Natürlich wurde sie angesprochen.
„I don’t understand“, sagte sie.
„Tedesca?“, fragte sie ein mittelalter Mann mit einem ausgewaschenen, schilfgrünen Unterhemd.
„I don’t understand“, sagte Judith wieder.
„Sind Sie Deutsche?“, fragte der Mann jetzt. Sah man ihr das an oder war ihr Englisch so schlecht?
„Ja“, antwortete sie, „ich bin Deutsche.“
„Wo kommen Sie her?“, fragte der Mann, während er mehrere Kübel mit Blumen auf die Laderampe seines Wagens schob.
„Berlin.“
„Ich gelebt in Wolfsburg“, sagte er. Judith lächelte das, was sie für ihr bezaubernstes Lächeln hielt.
„Volkswagen?“
„Nein, Busfahrer, Verkehrsbetriebe Wolfsburg“, lachte er.
„Oh, Personenbeförderungsschein!“
„Aber klar“, sagte er.
„Fahren Sie heute noch nach Italien?“
„Wollen Sie mitkommen?“, fragte er. Judith zuckte die Schultern, legte ihren Kopf nach rechts und machte Kulleraugen. „Ich muss nur noch das hier ausladen“, sagte er und ließ die Laderampe wie einen Fahrstuhl nach unten gleiten. „Es mir eine Ehre, schönes Fröllein“, sagte er und lachte mit gelben Zähnen.
„Danke“, sagte sie erleichtert. Sie würde jedenfalls nicht mit Händen und Füßen reden müssen.
Eine halbe Stunde später fand sie sich auf dem Beifahrersitz wieder. Er heiße Daniele, sagte ihr rettender Engel. Sie sagte ihm ihren Namen. In dem Führerhaus stank es bestialisch. Judith schätzte, Daniele hatte hier irgendwo eine Sammlung alter Kaffeebecher, in denen noch Milchreste gammelten. Oder zerknüllte McDonaldʼs-Tüten mit Burgerresten. Sie schüttelte sich. Von einer Klimaanlage war auch nichts zu spüren.
„Was Sie machen so früh auf dem Markt?“, fragte er mit einem Seitenblick. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht. Was für eine Geschichte sollte sie ihm erzählen? Am besten die Wahrheit. Oder das, was man für die Wahrheit halten könnte.
„Ich habe mich mit meinem Freund gestritten und bin mitten in der Nacht abgehauen. Jetzt habe ich Angst, dass er mich verfolgt“, sagte Judith.
„Oh, er Sie schlagen? So eine hübsche Frau?“
„Ja, er ist sehr aufbrausend“, sagte Judith.
„Brutal, ja?“, fragte er.
„So ähnlich“, sagte sie.
„Man muss immer nett sein zu hübsche Frauen“, ließ er sie an seiner Weltsicht teilhaben. „Hübsche Frauen immer haben Recht. In Italia.“ Na klasse. Nein, sie hatte keine Angst, jedenfalls da noch nicht. Sie war nur vorsichtig, sozusagen. „Sie Urlaub gemacht mit Freund?“
„Gerade angekommen“, antwortete sie ausweichend.
„Und jetzt?“, fragte er. „Was werden Sie machen jetzt?“
„Ich werde nach Hause fahren“, sagte Judith.
„Nach Hause? Warum dann über Italien?“, fragte er.
Das geht dich einen feuchten Kehricht an, dachte sie. Laut sagte Judith: „Ich will noch ein bisschen was sehen von der Küste hier.“ Das war ihr entscheidender Fehler.
„Ich Judith zeigen, meine Küste“, sagte er. Was sollte sie darauf sagen? Sei ruhig, fahr weiter? Sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie wollte so schnell wie möglich raus aus diesem dämlichen Führerhaus mit seinem unerquicklichen Geruch. „Ich zeigen schönste Aussicht von ganze Riviera“, sagte er.
Ich will keine schöne Aussicht, dachte sie, sagte aber nichts. Was sie sah, machte sie nicht fröhlich. Er war bis jetzt Richtung Autobahn gefahren, aber plötzlich bog er scharf ab.
„Wo fahren wir hin?“, fragte Judith.
„Schon mal gehört von La Corniche?“
„Gurken?“, fragte sie. Daniele lachte schallend.
„Nicht Cornichons, la Corniche, das sind Straßen auf Felsen. Abwarten, Judith, Sie sehen wunderbar, ich halten an und Sie gucken.“ Ihr war nach nichts weniger als nach Gucken, höchstens nach Umgucken, aber was sollte sie machen, wahrscheinlich wollte Daniele einfach nur freundlich sein. Sie fuhren mit dem großen Wagen auf einer Passstraße, und wenn sie
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