Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
das Telefon zu benutzen. Er musste versuchen, den Tresorraum zu öffnen. Wenn sie da drinnen eingeschlossen war, dann hatte er wenig Chancen. Denn den Code in den Tresor einzugeben, wäre wahrscheinlich ebenfalls lebensgefährlich. Ein Funke und alles würde explodieren.
Mit zitternden Knien stieg er die Hühnerleiter hinab. Der kleine Vorraum war leer. Nils schaute sich die Tresortür an. Der Code zum Öffnen war eingegeben. Danke, lieber Gott, danke, danke, danke, betete er im Stillen. Er hatte keine Zeit auf die Feuerwehr zu warten, er musste versuchen, die Tür zu öffnen. Vorsichtig drehte er das stählerne Kreuz nach rechts.
Die Tür öffnete sich leise ächzend. Gott sei Dank, das Licht war an. Tante Lindi lag auf dem Boden. War er zu spät gekommen? Er nahm ein Taschentuch aus seiner Hose und hielt es sich vor die Nase. Mit angehaltenem Atem lief er in den Raum. Seine Tante war noch ganz warm. Er bückte sich und hob sie unter den Armen an. Er hatte keine Zeit, ihren Puls zu fühlen. Nils wusste nur eins: Er musste raus hier mit Tante Linda und zwar sofort. Rückwärts laufend zog er seine Tante aus dem Marmorgrab. Er lehnte sie draußen gegen die Wand. Dann schloss er die dicke Stahltür wieder vorsichtig, damit die gasgeschwängerte Luft nicht entweichen konnte.
Das wäre geschafft. Nils beugte sich über seine Tante und fühlte am Hals ihren Puls. Er fühlte gar nichts. Tante Linda hatte keinen Puls mehr.
Das konnte nicht sein, bitte, lieber Gott, das darf nicht sein, nicht Tante Lindi, nicht auch noch Tante Lindi.‘ Und da, da war er. Der Puls. Zwar ganz schwach, aber er fühlte das leichte Pochen an ihrer Halsschlagader.
Er musste seine Tante hoch an die Luft bringen. Aber wie? Wie sollte er diese schmale Hühnerleiter hochkommen mit seiner Tante im Arm? Nicht im Arm, das würde nicht gehen, er musste sich festhalten, sonst würde er Übergewicht bekommen. Er bückte sich und hob seine Tante hoch. Und dann warf er sich die leblose Frau über die Schulter. Er wäre fast unter ihrem Gewicht zusammengebrochen. Nachdem er sich selbst ein wenig stabilisiert hatte unter der schweren Last, versuchte er mit Tante Linda über der Schulter die Hühnerleiter hochzukommen. Die Verzweiflung verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Aber er rutschte ab und fiel mit Tante Linda auf die Erde.
Sofort rappelte er sich wieder auf und versuchte es noch mal von vorn. Obwohl Tante Linda schlank war, wog sie doch einiges. Fast hätte er es geschafft, er war schon bis ganz nach oben gekommen. Aber er musste, um durch die Luke zu kommen, die Leiter loslassen und in diesem Moment stürzte er wieder mit seiner Tante in die Tiefe. Das Adrenalin machte ihn schmerzunempfindlich.
Wieder rappelte er sich auf, wieder nahm er seine Tante über die Schulter und wieder versuchte er die Treppe zu erklimmen. Dieses Mal hielt er sich mit der rechten Hand am Geländer fest und ließ seine Tante los, sie blieb auf seiner Schulter liegen, während er die linke Hand benutzte, um sich auf der Luke abzustützen. Mit letzter Kraft stemmte er sich zusammen mit seiner Tante hoch. Nils drehte sich ein wenig, so dass Tante Lindi auf dem Boden der Speisekammer sicher mit dem Oberkörper zu liegen kam. Wie viel Gas hatte er wohl eingeatmet? Sie mussten schnell raus aus dieser Wohnung.
Er packte Tante Linda unter den Armen und zog sie aus der Wohnung. Jetzt musste er sie nur noch die Treppe herunterkriegen. Er legte sich ihren Arm um den Hals und griff sie fest in der Taille. Mit der anderen Hand hielt er sich am Treppengeländer fest. Keuchend schaffte er es, sie hinab und in den Hof zu ziehen, hinaus an die frische Luft.
Frau Lehmann schaute immer noch aus dem Fenster.
„Schnell, raus aus Ihrer Wohnung, los, Frau Lehmann, kommen Sie runter“, rief er Frau Lehmann zu. Er hatte keine Ahnung, ob genug Gas ausgetreten war, dass die Wohnungen im ersten Stock in Mitleidenschaft gezogen wurden. Aber wenn überhaupt, so war Frau Lehmann als direkte Nachbarin im ersten Stock gefährdet. Er schaute, ob seine Tante noch atmete. Sicher war er sich nicht. Aber er musste sie auf die Straße ziehen, weg aus diesem Hof, der vielleicht gleich in die Luft fliegen würde. Er zog die leblose Frau durch den Hauseingang hinaus auf die Großgörschenstraße.
Als sie auf der Straße angekommen waren, legte er seine Tante zunächst auf die Erde und begann dann, sie zu beatmen. Mit einer Hand holte er sein Handy raus und rief die Feuerwehr an.
„Gas ausgetreten,
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