Tai-Pan
Stelldichein mit Tess einfindest. Geh nicht! Bleib an Deck – oder leg dich in deine Koje und schlaf. Aber geh nicht zu ihr. Vergiß sie und vergiß den heutigen Tag und vergiß die vergangene Nacht. Schon seit Monaten war sich Nagrek ihrer bewußt geworden, aber in der vergangenen Nacht hatte er während seiner Wache durch das Bullauge der Kammer, die sie mit ihrer Schwester teilte, gelugt. Er hatte sie im Nachthemd gesehen, betend mit geschlossenen Augen neben der Koje kniend, wie ein Engel. Die Knöpfe des Nachthemdes waren offen, und die weiße Seide spannte sich über ihren jungen Brüsten. Als sie ihr Gebet beendet hatte, öffnete sie die Augen, und fast hatte er geglaubt, sie habe ihn entdeckt. Aber sie hatte die Augen vom Bullauge abgewandt und das Nachthemd enger um den Körper zusammengezogen, so daß sich ihre Gestalt deutlich abzeichnete. Dann hatte sie mit den Händen über ihren Körper gestrichen, liebkosend und zärtlich. Über Brüste, Hüften und Schenkel. Schließlich hatte sie ihr Hemd ausgezogen und war vor den Spiegel getreten. Ein Zittern überlief ihren Körper; sie zog sich rasch wieder an, seufzte, blies die Laterne aus und schlüpfte ins Bett.
Heute hatte er sie beobachtet, wie sie mit fliegenden Röcken den Strand entlanglief; er hatte ihre Beine gesehen und sich gewünscht, zwischen ihnen zu liegen, und da war der Wunsch in ihm aufgesprungen, sie zu besitzen. Hilflos vor Angst und Verlangen hatte er sich ihr nachmittags an Bord genähert und ihr etwas zugeflüstert. Er sah ihr Erröten und hörte ihre geflüsterte Antwort: »Ja, Nagrek, heute nacht um acht Glasen.«
Die neue Wache kam an Deck.
»Geh nach unten, Nagrek«, sagte Gorth, als er aufs Achterdeck gestampft kam. Er verrichtete seine Notdurft ins Speigatt, gähnte dann, nahm seinen Platz auf dem Achterdeck neben dem Ruder ein und schüttelte sich fast wie ein Hund.
»Der Wind ist nach Osten umgesprungen.«
»Ich habe es gespürt.« Gereizt schenkte sich Gorth einen Schluck Rum ein. »Verdammter Nebel!«
Nagrek ging in seine Kajüte hinunter. Er zog die Schuhe aus und setzte sich auf den Rand der Koje. Er war verschwitzt und fröstelte. Von seiner Torheit fast erstickt und doch unfähig, ihrer Herr zu werden, schlich er aus der Kajüte hinaus und ging auf Zehenspitzen lautlos den Gang entlang. Vor der Kammer blieb er stehen. Seine Hand war feucht, als er die Klinke vorsichtig niederdrückte. Mit angehaltenem Atem trat er ein und schloß die Tür hinter sich.
»Tess?« flüsterte er, und dabei hoffte er beinahe, sie möge ihn nicht gehört haben.
»Pst«, antwortete sie, »oder du weckst Lillibet.«
Seine Angst nahm zu – der Verstand sagte ihm, er müsse sofort umkehren, aber sein Verlangen zwang ihn zu bleiben.
»Das ist schrecklich gefährlich«, sagte er. Er fühlte, wie ihre Hand sich ihm aus der Dunkelheit entgegenstreckte, die seine ergriff und ihn bis zur Koje geleitete.
»Du wolltest mit mir sprechen? Was wolltest du?« fragte sie, von der Dunkelheit, dem Geheimnisvollen und von Nagreks Anwesenheit entflammt und von diesem Feuer gleichzeitig entsetzt und entzückt.
»Jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür, mein Liebling.«
»Aber du wolltest doch heimlich mit mir reden. Wo könnte es denn sonst heimlich sein?« Sie richtete sich in der Koje auf, zog das Hemd fester um sich und ließ ihre Hand kraftlos in der seinen ruhen.
Er setzte sich auf die Koje, und das Verlangen verschlug ihm die Sprache. Er streckte seine Hand aus, berührte ihr Haar und dann ihren Hals.
»Laß das«, murmelte sie und erschauerte, als er ihre Brüste streichelte.
»Ich will dich heiraten, mein Liebling.«
»Ach ja, ach ja.«
Ihre Lippen berührten einander. Nagreks Hände folgten ihren Formen, tasteten über sie hin. Und diese Berührung ließ Furcht und Leidenschaft in ihm emporlodern, die sich auf ein Ziel konzentrierten!
Gorth hörte auf, in den Nebel zu starren, als der Bootsmann ein Glasen schlug, und schlenderte zum Kompaß hinüber. Er sah im flackernden Schein der abgeschirmten Laterne auf ihn nieder und traute seinen Augen nicht. Er schüttelte den Kopf, um völlig wach zu werden, und sah noch einmal hin.
»Das ist doch unmöglich!«
»Was ist los, Sir?« fragte der Bootsmann bestürzt.
»Der Wind, bei Gott. Er kommt von Westen! Westen!«
Der Bootsmann rannte zum Kompaß, aber Gorth jagte bereits, Seeleute auf seinem Weg beiseite stoßend, an Deck entlang.
Er beugte sich über die Reling und entdeckte das
Weitere Kostenlose Bücher