Tai-Pan
gelichtet hatte, bin ich längsseits gegangen. Brock hat mir gesagt, er habe sieben Mann und den Kapitän verloren.«
»Gorth?«
»Nein. Nagrek Thumb. Der Arme ist seinen Verletzungen erlegen. Auch Gorth wurde verwundet, aber nicht zu schwer.« Struans Gesicht schien sich zu verhärten. »Der Kapitän hat bei der Verteidigung seines Schiffes sein Leben gelassen. Ein schöner Tod.«
Culum biß sich auf die Lippe und blickte auf der Kuppe um sich. Sein Herz klopfte stark. »Willst du damit sagen, daß dies hier mein Golgatha ist?«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Kapitäne, die bei der Verteidigung ihres Schiffes ihr Leben lassen? Und dies ist nun mein Schiff – diese Kuppe –, ist es nicht das, was du hast sagen wollen? Willst du mich nicht fragen, ob ich bei der Verteidigung dieser Kuppe meinen Tod finden möchte?«
»Möchtest du?«
»Ich fürchte dich nicht.« Die Worte drangen rauh aus Culums trockener Kehle. »Es gibt Gesetze gegen Mord. Ich kann nicht gegen dich kämpfen, und du kannst mich umbringen, aber dafür wirst du hängen. Ich bin unbewaffnet.«
»Du glaubst, ich würde dich töten?«
»Wenn ich dir in die Quere komme, ja, und ich bin dir in die Quere gekommen, nicht wahr?«
»Bist du?«
»Für mich warst du einmal ein Gott. Aber in den dreißig Tagen, die ich nun hier bin, habe ich dich als den erkannt, der du bist. Ein Totschläger. Ein Mörder, Pirat, Opiumschmuggler. Und ein Ehebrecher. Du kaufst und verkaufst Menschen. Du hast Bastarde gezeugt, bist stolz auf sie, und dein Name ist anständigen Menschen ein Greuel.«
»Welche anständigen Menschen sind das?«
»Du wolltest mich sprechen. Da bin ich. Sag mir, was du willst, damit wir es hinter uns bringen. Ich bin dieses Katze-und-Maus-Spiel müde.«
Struan hob seinen Proviantbeutel auf und hängte ihn sich über die Schulter. »Komm mit.«
»Wozu?«
»Ich möchte unter vier Augen mit dir reden.«
»Jetzt sind wir doch allein.«
Struan machte mit seinem Kopf eine Bewegung auf die vor Anker liegenden Schiffe zu. »Dort sind genug Augen. Ich fühle, wie sie uns beobachten.« Er deutete auf den Küstenstreifen, auf dem es von Chinesen und Europäern wimmelte. Händler schritten ihre Grundstücke ab. Schon spielten Kinder dort. »Wir werden von allen Seiten beobachtet.« Er deutete auf eine Anhöhe im Westen. »Dorthin gehen wir.«
Diese Anhöhe war fast ein Berg, der sich felsig, kahl und düster dreizehnhundert Fuß hoch erhob.
»Nein.«
»Ist es dir zu weit?« Struan bemerkte den Haß in Culums Gesicht und wartete auf eine Antwort. Aber es kam keine. »Ich habe geglaubt, du hättest keine Angst.«
Er wandte sich ab, ging die Kuppe hinunter und auf den ansteigenden Hang des Berges zu. Culum zögerte, von Furcht verzehrt. Dann folgte er von Struans Willen beherrscht.
Während Struan bergan stieg, wurde ihm bewußt, daß er wiederum ein gefährliches Spiel spielte. Erst als er den Gipfel des Berges erklommen hatte, blieb er stehen und blickte zurück. Dieser Gipfel war vom Wind kahlgefegt und öde. Weit unten sah er Culum sich abmühen.
Er wandte seinem Sohn den Rücken zu.
Ein Bild von gewaltiger Weite bot sich seinen Blicken. Es war furchterregend und schön zugleich. Die Sonne stand nun schon hoch am blauen Himmel, und der Stille Ozean lag wie ein blaugrüner Teppich hingebreitet. Aus diesem Teppich des Meeres hoben sich die braunen und grünen Berge der Inseln heraus: Pokliu Tschau im Westen; Lan Tao, die gewaltige Insel, größer als Hongkong, fünfzehn Meilen weiter westlich; und die Hunderte von kleinen unfruchtbaren Inseln und öden Felsen, die zu dieser Inselwelt um Hongkong gehörten. Deutlich sah er im Fernglas die Schiffe im Hafen und im Norden das chinesische Festland. Er erblickte ganze Flotten von Dschunken und Sampans, die im Sund von Lan Tao kreuzten und Kurs auf Hongkongs westliche Einfahrt nahmen. Eine noch größere Zahl segelte in die Mündung des Perlflusses. Im Norden und Süden, im Osten und Westen herrschte reger Schiffsverkehr: Fregatten im Vorpostendienst, Fischerdschunken, Sampans, aber keine Kauffahrer. Noch ein paar Wochen, dachte er, dann ist der zweite Krieg zu Ende, und die Kauffahrer beherrschen wieder die See.
Culum arbeitete sich auf dem von Struan getretenen Pfad vorwärts. Er war zu Tode erschöpft, und nur sein zäher Wille zwang seine Füße dazu, sich zu bewegen. Seine Kleider waren von dem dornigen Gestrüpp zerrissen, sein Gesicht zerkratzt. Aber er stieg weiter.
Schließlich
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