Tai-Pan
daß nämlich er, Longstaff, schon früher erklärt hatte: »Wir müssen den Besiegten gegenüber großherzig sein, meine Herren. Wir müssen die Schwachen beschützen. Der Handel Englands kann doch nicht auf dem Blut der Hilflosen gedeihen, oder? In einigen Tagen werden die Verhandlungen abgeschlossen und Asien ein für allemal gesichert sein.«
Aber die Verhandlungen kamen zu keinem Abschluß. Struan wußte ganz genau, daß es in Kanton gar keinen Abschluß geben konnte. Nur in Peking oder vor Pekings Toren. Und ihm lag auch noch gar nichts an einem Abschluß. Nur am Handel. Es kam vor allem darauf an, den Tee und die Seidenstoffe dieser Saison einzukaufen und das Opium dieses Jahres abzustoßen. Mit dem Gewinn aus den Handelsgeschäften dieses einen Jahres würden alle Handelshäuser ihre Verluste wieder ausgleichen. Mit den Gewinnen könnten sie ein weiteres Jahr durchhalten und ihre Kapazität erweitern. Der einzige Ort aber, an dem sich dies durchführen ließ, war Hongkong. Durch den Handel wurde Zeit gewonnen, die von entscheidender Wichtigkeit war – Zeit, um Lagerhäuser, Kaianlagen und Wohnhäuser auf ihrer Zufluchtsinsel zu bauen. Zeit, bis die Sommerwinde den erneuten Vorstoß nach Norden ermöglichten. Zeit, um jeden Sturm bis zur Handelssaison des kommenden Jahres glücklich zu überstehen. Zeit und Geld, um Hongkong zu einem sicheren Ort zu machen – und damit zum Sprungbrett nach Asien.
So beschwichtigte Struan Longstaffs Ungeduld, sorgte dafür, daß die Verhandlungen nicht einschliefen, und stürzte sich in ein scharfes Rennen mit Brock um die besten Teesorten, die feinste Seide und die günstigsten Frachtgeschäfte. Achtzehn Klipper mußten beladen und auf den Weg geschickt werden. Achtzehn Besatzungen und ihre Kapitäne waren abzufertigen.
Brock ließ die Gray Witch als erste Anker lichten. Sie segelte flußabwärts davon, mit zum Bersten gefüllten Laderäumen. Die letzte Luke auf der Blue Cloud wurde einen halben Tag später verkeilt, und dann machte sie sich an die Verfolgung. Damit hatte das Rennen begonnen.
Gorth tobte und schimpfte, weil auf seinem Schiff ein neuer Kapitän das Kommando hatte, aber Brock war unerbittlich. »Mit deiner Wunde wäre es nicht ratsam, außerdem wirst du hier gebraucht.« So setzte sich Gorth in den Kopf, es im Lauf der Zeit zum Tai-Pan zu bringen. Er wollte der Tai-Pan werden, bei Gott. Mit diesem Gedanken kehrte er an Bord der Nemesis zurück. Seitdem das Schiff in den Hafen gedampft war, hatte er jeden freien Augenblick an Bord verbracht; er lernte, wie man mit einem solchen Schiff umging, wie man seine Tücken überwand, was man aus ihm herausholen konnte und was nicht. Denn er wußte ebensogut wie sein Vater, daß die Nemesis den Tod der Segler bedeutete – und mit etwas Joss den Tod von Noble House. Beide kannten Struans Abscheu vor Dampfern, und obwohl ihnen klar war, daß der Übergang vom Segel zum Dampf Risiken in sich barg, beschlossen sie dennoch, einen hohen Einsatz auf die Zukunft zu wagen. Mit dem gleichen Wind und der gleichen Tide, gegen die sich die Nemesis beim Einlaufen in den Hafen von Hongkong durchgesetzt hatte, lief später das Postschiff nach England aus. In diesem Schiff befand sich ein Brief von Brock an seinen Sohn Morgan. In diesem Brief wurden zwei Aufträge für bereits bestellte Klipper zurückgezogen. Dafür wurden zwei Dampfer in Auftrag gegeben, für die neue Dampfschifflinie der Firma Brock and Sons – die Orient Queen Line.
»Tai-Pan«, sagte May-may in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers und in der Geborgenheit ihres Bettes, »darf ich nach Macao zurückkehren? Nur für ein paar Tage? Ich nehme die Kinder mit.«
»Hast du genug von der Niederlassung?«
»Nein. Aber so schwierig hier ohne alle Kleider und ohne die Spielsachen der Kinder. Nur für ein paar Tage, heja?«
»Ich habe dir bereits von den Belohnungen erzählt, und ich …«
Sie erstickte seine Worte mit einem Kuß, rückte näher an ihn heran und schmiegte sich in seine Wärme. »Du riechst so gut.«
»Du auch.«
»Diese Mary Sinclair hat mir gefallen.«
»Sie – sie hat großen Mut.«
»Seltsam, daß du Frau schickst. Gar nicht deine Art.«
»War keine Zeit mehr, jemand anders zu schicken.«
»Ihr Kantonesisch und Mandarin-Chinesisch ist phantastisch gut.«
»Das ist ein Geheimnis. Du darfst es niemandem erzählen.«
»Natürlich, Tai-Pan.«
Die Dunkelheit hüllte sie immer tiefer ein. Sie hingen ihren Gedanken nach.
»Du schon immer
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