Tai-Pan
Sonnenaufgang.« Sie zog ihr hellgelbes Seidengewand bequemer um ihren Körper und fühlte dabei die Berührung des Stoffes auf ihren festen Brüsten. »Wie lange soll dieser erschreckendste Lärm so weitergehen?«
»Vielleicht einen Monat noch. Selbstverständlich wird an Sonntagen nicht gearbeitet«, antwortete er, wobei er ihr kaum noch zuhörte, da er an all die Dinge dachte, die er an diesem Tag noch erledigen mußte.
»Es ist zuviel Lärmen«, sagte sie. »Und etwas ist schlecht mit diesem Haus.«
»Was denn?« fragte er zerstreut, ohne ihre Worte besonders zu beachten.
»Es fühlt sich schlecht an, schrecklich schlecht. Bist du sicher, daß der fêng schui richtig ist, heja?«
»Was für ein fêng?« Überrascht blickte er auf und schenkte ihr nun wieder seine ganze Aufmerksamkeit.
May-may war entsetzt. »Du hast keinen fêng-schui-Herrn gehabt?«
»Wer ist denn das?«
»Mein Himmel, Tai-Pan!« rief sie verzweifelt. »Du baust Haus und hast fêng schui nicht befragt! Wie schrecklich verrückt! Ajiii jah! Gleich heute werde ich mich darum kümmern.«
»Was tut denn der fêng-schui-Herr?« fragte Struan mürrisch. »Abgesehen davon, daß er Geld kostet?«
»Er überzeugt sich davon, daß der fêng schui richtig ist.«
»Und was, um Himmels willen, ist fêng schui?«
»Wenn der fêng schui böse ist, kommen die Teufelsgeister ins Haus, und du wirst entsetzlich schlechten Joss und schreckliche Krankheiten haben. Ist der fêng schui gut, kommen keine Teufelsgeister herein. Jeder weiß doch, was ein fêng schui ist.«
»Du bist doch eine gute Christin und glaubst nicht an böse Geister und all den Hokuspokus.«
»Ich gebe dir völlig recht, Tai-Pan, aber in Häusern ist fêng schui unwahrscheinlich wichtig. Vergiß nicht, hier sind wir in China, und in China …«
»Schon gut, May-may«, antwortete er ergeben. »Laß dir einen fêng schui-Herrn kommen, damit er seinen Zauberspruch sagt, wenn es schon sein muß.«
»Er sagt keine Zaubersprüche«, entgegnete sie mit Nachdruck. »Er überzeugt sich nur, daß das Haus für die Himmel-Erde-Luft-Strom richtig liegt. Und daß es nicht auf dem Nacken eines Drachen sitzt.«
»Bitte?«
»Gütiger Gott, wie du manchmal sagst! Das wäre erschrecklich, denn dann könnte der Drache, der in der Erde schläft, nicht länger friedlich schlafen. Mein Himmel, ich hoffe nur, wir sitzen nicht auf seinem Nacken! Oder auf seinem Kopf! Könntest etwa du mit einem Haus auf deinem Nacken oder deinem Kopf schlafen? Natürlich nicht! Wenn der Schlaf des Drachen gestört wird, werden selbstverständlich phantastisch schlimme Dinge geschehen. Dann müssen wir sofort ausziehen!«
»Lächerlich!«
»Phantastisch lächerlich, aber trotzdem ziehen wir aus. Ich, ich beschütze uns. O ja. Es ist sehr wichtig, daß man seinen Mann und seine Familie beschützt. Falls wir auf einem Drachen gebaut haben, ziehen wir aus.«
»Dann sagst du am besten deinem fêng-schui-Herrn, daß er gut daran tut, keine Drachen hier zu finden, bei Gott!«
Sie stieß das Kinn vor. »Die fêng-schui-Herren werden dir nicht bei bringen, wie man ein Schiff segelt – warum solltest du also ihnen etwas über Drachen beibringen wollen, heja? Es ist sehr erbärmlich schwer, ein fêng-schui-Herr zu sein.«
Struan war froh, daß May-may allmählich wieder zu ihrem alten Ich zurückfand. Er hatte bemerkt, daß sie seit ihrer Rückkehr aus Macao nach Kanton und während der Reise nach Hongkong gereizt und zerstreut gewesen war. Vor allem während der letzten paar Tage. Und sie hatte recht, der Lärm war entsetzlich.
»Ich muß jetzt gehen.«
»Ist es dir recht, wenn ich Mary Sinclair heute einlade?«
»Ja. Aber ich weiß nicht, wo sie ist – oder ob sie überhaupt schon angekommen ist.«
»Sie ist auf dem Flaggschiff. Gestern ist sie mit ihrer Amah, Ah Tat und ihrem Ballkleid eingetroffen. Es ist schwarz und sehr hübsch. Es wird dich zweihundert Dollar kosten. Ajiii jah, hättest du mich das mit dem Kleid machen lassen, hätte ich dir sechzig, siebzig Dollar gespart, aber macht nichts. Ihre Kabine liegt neben der ihres Bruders.«
»Wieso weißt du das alles?«
»Ihre Amah ist die vierte Tochter der Schwester der Mutter von Ah Sam. Was nützt einem eine glattzüngige Sklavin wie Ah Sam, wenn sie ihre Mutter nicht auf dem laufenden hält und Verbindungen hat?«
»Wie hat denn Ah Sams Mutter ihr das mitgeteilt?«
»Oh, Tai-Pan, du bist so komisch«, rief May-may. »Doch nicht Ah Sams wirkliche Mutter,
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