Tai-Pan
Bericht hatte er an Horatio gesandt. Kurz bevor er dann nach Hause gegangen war, hatten ihn die Militärärzte aufgesucht, um ihm mitzuteilen, daß es keine Zweifel mehr gebe: das Fieber im Happy Valley sei Malaria …
Unruhig warf er sich im Bett hin und her.
»Möchtest du vielleicht Tricktrack spielen?« May-may war ebenso erschöpft wie er, fand aber ebensowenig Ruhe.
»Nein, ich danke dir, meine Kleine. Kannst du auch nicht schlafen?«
»Nein. Macht nichts«, antwortete sie. Sie sorgte sich um den Tai-Pan. Er war an diesem Tag so seltsam gewesen. Und sie machte sich Sorgen um Mary Sinclair. Am Nachmittag war Mary dagewesen, schon ziemlich früh, noch vor Struans Rückkehr. Mary hatte ihr von dem Baby erzählt, das sie erwartete, und auch von dem heimlichen Leben, das sie in Macao führte. Sogar von Horatio. Und von Glessing. »Entschuldigen Sie«, hatte Mary unter Tränen gesagt. Sie sprachen Mandarin-Chinesisch miteinander, das beide dem Kantonesischen vorzogen. »Ich habe es jemand sagen müssen. Ich habe niemanden, den ich um Hilfe bitten könnte. Niemanden.«
»Aber, Mary, meine Liebe«, hatte May-may erwidert. »Weinen Sie doch nicht. Zunächst einmal werden wir Tee trinken, und dann werden wir uns überlegen, was zu tun ist.« So hatten sie also miteinander Tee getrunken. May-may hatte sich erneut sehr über die Barbaren und ihre Einstellung zum Leben und zum Verhältnis der Geschlechter gewundert. »Was für eine Hilfe brauchen Sie denn?«
»Ich muß Hilfe haben – um dieses Kind loszuwerden. Mein Gott, man sieht es mir ja schon an.«
»Aber warum haben Sie mich nicht schon vor Wochen gefragt?«
»Ich habe den Mut dazu einfach nicht aufgebracht. Hätte ich es Horatio gegenüber nicht bis zum äußersten getrieben, hätte ich auch jetzt noch nicht den Mut dazu. Aber jetzt … was kann ich jetzt noch tun?«
»Wie lange gehen Sie schon mit dem Kind?«
»Fast drei Monate, eine Woche fehlt noch daran.«
»Das ist schlecht, Mary. Nach zwei Monaten kann es sehr gefährlich werden.« May-may hatte über die Möglichkeiten nachgedacht, die es in Marys Fall noch gab, auch über die Gefahren, die damit verbunden waren. »Ich werde Ah Sam nach Tai Ping Schan schicken. Dort soll ein Kräutersammler wohnen, der Ihnen vielleicht helfen kann. Aber ist Ihnen klar, daß es vielleicht sehr gefährlich für Sie werden könnte?«
»Ja. Aber wenn Sie mir helfen, tue ich alles. Alles.«
»Wir sind doch befreundet. Freunde müssen einander helfen. Nur dürfen Sie es niemals, niemals irgendeinem Menschen erzählen.«
»Ich schwöre es Ihnen bei Gott!«
»Sobald ich die Kräuter habe, schicke ich Ah Sam zu Ihrer Dienerin, Ah Tat. Können Sie sich auf sie verlassen?«
»Ja.«
»Wann haben Sie Geburtstag, Mary?«
»Warum?«
»Der Astrologe wird einen günstigen Tag für das Einnehmen des Trankes errechnen müssen, das ist doch klar.«
Mary hatte ihr Tag und Stunde genannt.
»Wo werden Sie die Arznei einnehmen? Im Hotel können Sie es nicht tun – auch hier nicht. Es kann sein, daß Sie Tage brauchen, um sich davon zu erholen.«
»In Macao. Ich kehre nach Macao zurück. In mein – ich habe doch dort mein eigenes Haus. Dort kann nichts passieren. Ja. Dort kann mir nichts zustoßen.«
»Diese Mittel wirken nicht immer, meine Liebe. Und sie sind auch niemals ungefährlich.«
»Ich habe keine Angst. Sie werden schon wirken. Sie müssen wirken«, hatte Mary gesagt.
May-may bewegte sich unruhig im Bett. »Was ist los?« fragte Struan.
»Nichts. Nur das Baby rührt sich.«
Struan legte seinen Kopf auf die sanfte Rundung ihres Leibes. »Wir sollten lieber einen Arzt zuziehen, der dich untersucht.«
»Nein, danke, Tai-Pan, schon gut. Ich will keinen von diesen Barbaren-Teufeln. In dieser Sache werde ich so sein wie immer – Chinesin.«
May-may lehnte sich sacht zurück, zufrieden damit, ein Kind zu erwarten, und traurig um Marys willen. »Mary hat nicht sehr gut ausgesehen, findest du nicht?« fragte sie behutsam.
»Nein. Und irgend etwas bedrückt sie. Hat sie dir gesagt, was es ist?«
May-may wollte zwar nicht lügen, aber es widerstrebte ihr, zu Struan von etwas zu sprechen, das ihn doch eigentlich nichts anging. »Ich glaube, sie macht sich nur Sorgen um ihren Bruder.«
»Was ist mit ihm?«
»Sie hat mir erzählt, sie möchte diesen Glessing heiraten.«
»Ach so, ich verstehe.« Struan war es klar gewesen, daß Mary in erster Linie gekommen war, um mit May-may zu sprechen, und nicht mit ihm. Er hatte
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