Tai-Pan
Mandarin beim Ankleiden zu helfen. Wang Tschu konnte sich nicht selber anziehen, denn seine Fingernägel waren etwa fingerlang und mit juwelenbesetzten Hüllen geschützt. Voller Abscheu wandte sich Struan ab.
Aus dem Garten stieg plötzlich ein Geschnatter hoher Stimmen auf. Er blickte vorsichtig zum Fenster hinaus. Wangs Wächter versammelten sich im Garten; damit versperrten sie ihm den Rückzug. Aber die Dienerin machte ihm ein Zeichen, es sei kein Anlaß zur Sorge, und er solle warten. Sie trat an den Tisch und schenkte ihm Tee ein; dann verneigte sie sich und ging hinaus.
Eine halbe Stunde später verließen die Männer den Garten, und Struan sah, wie sie sich um eine Sänfte auf der Straße scharten. Wang Tschu wurde in die Sänfte gehoben und davongetragen.
»Hallo, Tai-Pan.«
Struan fuhr herum und griff nach seinem Messer. In einer Tür, die in der Wand verborgen war, stand Mary. Sie trug ein Gewand aus durchsichtigem Stoff, das nichts von ihr verbarg. Langes, blondes Haar umrahmte das Gesicht mit den blauen Augen und dem Grübchen im Kinn. Die Beine waren lang, die Taille schmal, die Brüste klein und fest. Ein wertvolles Stück aus geschnitzter Jade hing an einer Goldkette um ihren Hals. Mary betrachtete Struan mit einem unergründlichen Lächeln.
»Stecken Sie nur Ihr Messer weg, Tai-Pan. Hier lauert keine Gefahr auf Sie.« Ihre Stimme war ruhig und spöttisch.
»Sie sollten ausgepeitscht werden«, erklärte er.
»Was das Auspeitschen betrifft, so kenne ich mich damit aus. Sollten Sie das vergessen haben?« Sie machte mit der Hand eine Bewegung auf das Schlafzimmer zu. »Dort drüben haben wir es bequemer.« Sie trat an eine Kommode und goß Branntwein in zwei Gläser.
»Was ist denn los?« fragte sie mit dem gleichen unnatürlichen Lächeln. »Sind Sie denn noch niemals im Schlafzimmer einer Frau gewesen?«
»Sie meinen wohl, im Schlafzimmer einer Hure?«
Sie reichte ihm ein Glas, und er nahm es. »Wir sind einander ganz ähnlich, Tai-Pan. Beide ziehen wir Chinesen als Bettgefährten vor.«
»Bei Gott, Sie verdammtes Luder, Sie …«
»Spielen Sie nur nicht den Heuchler; es steht Ihnen nicht. Sie sind verheiratet und Sie haben Kinder. Dennoch haben Sie auch viele andere Frauen. Chinesische Frauen. Ich weiß ganz genau Bescheid. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Dinge festzustellen.«
»Es ist doch ganz unmöglich, daß Sie Mary Sinclair sind«, sagte er – fast nur zu sich selber.
»Unmöglich nicht. Aber überraschend mag es wohl sein.« Ruhig trank sie von ihrem Branntwein. »Ich habe Sie kommen lassen, weil Sie mich so sehen sollten, wie ich bin.«
»Warum?«
»Zunächst einmal wäre es besser, wenn Sie Ihre Leute wegschickten.«
»Wieso wissen Sie von ihnen?«
»Sie sind doch so vorsichtig. Ebenso wie ich. Sie würden doch niemals ohne Leibwächter heimlich hierherkommen.« Ihre Augen betrachteten ihn spöttisch.
»Was haben Sie vor?«
»Wie lange sollen Ihre Leute warten?«
»Eine Stunde.«
»Ich brauche aber mehr von Ihrer Zeit. Schicken Sie sie nach Hause.« Sie lachte auf. »Ich warte.«
»Das würde ich Ihnen auch raten. Und ziehen Sie sich etwas an.«
Er verließ das Haus und erklärte Mauss, er solle noch weitere zwei Stunden auf ihn warten und ihn dann holen kommen. Er berichtete ihm von der Geheimtür, aber sagte nichts von Mary.
Bei seiner Rückkehr lag Mary auf dem Bett. »Schließen Sie bitte die Tür, Tai-Pan«, sagte sie.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten sich etwas anziehen.«
»Und ich habe Ihnen gesagt, Sie sollten die Tür schließen.«
Zornig warf er die Tür zu. Mary zog das dünne Gewand aus und warf es beiseite. »Finden Sie mich hübsch?«
»Nein. Sie widern mich an.«
»Aber Sie widern mich nicht an, Tai-Pan. Sie sind der einzige Mann auf dieser Welt, den ich bewundere.«
»Horatio sollte Sie jetzt sehen.«
»Ach, Horatio«, erwiderte sie unergründlich. »Wie lange sollen Ihre Leute jetzt warten?«
»Zwei Stunden.«
»Sie haben ihnen von der Geheimtür erzählt. Aber nicht von mir.«
»Wieso sind Sie dessen so sicher?«
»Ich kenne Sie, Tai-Pan. Deswegen habe ich Sie auch in mein Geheimnis eingeweiht.« Sie spielte mit dem Branntweinglas und senkte die Augen. »Waren wir eigentlich schon fertig, als Sie durch das Guckloch blickten?«
»Du lieber Himmel! Sie sollten …«
»Haben Sie etwas Geduld mit mir, Tai-Pan«, entgegnete sie. »Waren wir fertig?«
»Ja.«
»Das freut mich. Es freut mich und es tut mir auch leid.
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