Tai-Pan
– Ihren Kunden?«
»Ja.«
»Noch etwas, was Sie mir sagen möchten?«
»Sie könnten hunderttausend Silbertaels mit dem gewinnen, was ich Ihnen jetzt erzählt habe.«
»Sind Sie jetzt fertig?«
»Ja.«
Struan erhob sich.
»Was haben Sie vor?«
»Ich werde es Ihrem Bruder sagen. Er schickt Sie am besten nach England zurück.«
»Lassen Sie mich auf meine Art leben, Tai-Pan. Mir gefällt es, die zu sein, die ich bin, und ich werde mich niemals ändern. Kein Europäer und nur wenige Chinesen wissen, daß ich Kantonesisch und den Mandarindialekt spreche – mit Ausnahme von Horatio und jetzt Ihnen. Aber nur Sie allein kennen mein wahres Ich. Ich verspreche, Ihnen sehr, sehr nützlich zu sein.«
»Sie machen, daß Sie nach Hause kommen, raus aus Asien.«
»Asien ist meine Heimat.« Sie furchte die Stirn, und ihre Augen wurden sanfter. »Lassen Sie mich doch wie ich bin. Nichts hat sich verändert. Vor zwei Tagen haben wir uns auf der Straße getroffen, und Sie waren nett und freundlich zu mir. Ich bin noch immer die gleiche Mary.«
»Sie sind nicht die gleiche. Ist das alles hier vielleicht nichts?«
»Wir können gleichzeitig die verschiedensten Menschen sein. Ich bin diese hier, und das andere Mädchen – die süße, unschuldige, nichtssagende Jungfrau, die törichte Konversation treibt und Kirche, Harfenspiel, Singen und Näharbeiten liebt, die bin ich auch. Ich weiß nicht, warum es so ist, aber es ist wahr. Sie sind der Tai-Pan Struan – Teufel, Schmuggler, Fürst, Mörder, Ehemann, Hurenbock, Heiliger und unzählige andere Persönlichkeiten. Und welcher von ihnen sind Sie nun wirklich?«
»Ich werde Horatio nichts davon sagen. Nur fahren Sie nach England. Ich gebe Ihnen das Geld.«
»Ich habe Geld genug, um meine Reise selber zu bezahlen, Tai-Pan. Ich bekomme viele Geschenke. Mir gehört dieses Haus und das daneben. Und ich reise, wann es mir paßt, und so, wie es mir gefällt. Bitte, überlassen Sie mich meinem eigenen Joss, Tai-Pan. Ich bin die, die ich bin, und was Sie auch unternähmen, ändern könnten Sie mich nicht. Einmal – da hätten Sie mir helfen können. Nein, auch das stimmt nicht ganz. Niemand hätte mir jemals helfen können. Was ich bin, bin ich gern. Ich schwöre Ihnen, ich werde mich niemals ändern. Ich werde die sein, die ich bin: entweder heimlich, so daß niemand außer Ihnen und mir es weiß – oder ganz offen. Warum aber anderen weh tun? Warum Horatio weh tun?«
Struan blickte zu ihr hinab. Er wußte, sie meinte es genauso, wie sie es gesagt hatte. »Sind Sie sich über die Gefahren im klaren, der Sie sich aussetzen?«
»Ja.«
»Angenommen, Sie bekämen ein Kind?«
»Die Gefahr ist die Würze des Lebens, Tai-Pan.« Sie sah ihn eindringlich an, und ein Schatten legte sich über ihre blauen Augen. »Und wenn ich Sie hierhergeholt habe, so bedaure ich dabei nur eins: Jetzt kann ich niemals mehr Ihre Geliebte sein. Und ich wäre so gern Ihre Geliebte geworden.«
Struan hatte sie ihrem Joss überlassen. Sie hatte ein Recht darauf, so zu leben, wie es ihr gefiel, und sie vor ihren Kreisen bloßzustellen, würde auch nichts bessern. Im Gegenteil, dadurch würde man nur dem Bruder den Boden unter den Füßen wegziehen. Denn der Bruder liebte sie.
Struan hatte ihre Informationen benutzt und dadurch einen riesigen Gewinn eingestrichen. Mary war es zu verdanken, wenn Noble House ein Jahr lang fast das absolute Monopol im Opiumhandel innehatte und die Verluste für das Opium, das als Lösegeld für Kanton hatte herhalten müssen, mehr als wettgemacht wurden. Zwölftausend Kisten waren es gewesen. Und Marys Mitteilungen über Brock hatten sich ebenfalls als richtig erwiesen, und er hatte Brock in die Quere kommen können. Struan hatte in England für Mary ein geheimes Konto eröffnet und einen Teil des Gewinns auf dieses Konto eingezahlt. Sie hatte sich bei ihm bedankt, schien aber nicht im geringsten an diesem Geld interessiert. Von Zeit zu Zeit gab sie ihm weitere Informationen. Aber nie wollte sie ihm erzählen, wie sie ihr Doppelleben begonnen hatte – oder warum. Großer Gott, dachte er, ich werde die Menschen niemals verstehen …
Jetzt, dort am Strand, fragte er sich, was wohl Horatio tun würde, käme er jemals dahinter. Es war unmöglich, daß Mary ihr zweites Leben auf die Dauer geheimhalten konnte – irgendwann einmal unterlief ihr bestimmt ein Fehler.
»Was ist los, Mr. Struan?« fragte Horatio.
»Nichts, mein Junge. Ich denke nur nach.«
»Läuft heute oder
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