Tai-Pan
Maharajah, des Kauffahrers, der Sarah nach Schottland bringen sollte. Das Schiff gehörte der Ostindischen Kompanie. In drei Stunden sollte es mit dem Ebbstrom auslaufen. Die Matrosen waren mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt.
Struan ging nach unten und klopfte an die Tür von Sarahs Kammer.
»Herein«, hörte er sie sagen.
»Guten Morgen, Sarah.« Er schloß hinter sich die Tür. Die Kammer war geräumig und behaglich ausgestattet. Überall lagen Spielsachen und Bekleidungsstücke, Reisetaschen und Schuhe verstreut. Der kleine Lochlin schlief in einem Kinderbettchen in der Nähe des Bullauges.
»Bist du mit allem fertig, Sarah?«
»Ja.«
Er holte einen Umschlag heraus. »Dies ist ein Sichtwechsel über fünftausend Guineen. Du bekommst alle zwei Monate einen.«
»Das ist sehr großzügig von dir.«
»Es ist ja dein Geld – zumindest Robbs Geld und nicht das meine.« Er legte den Umschlag auf den Eichentisch. »Ich bin lediglich sein Testamentsvollstrecker. Außerdem habe ich dafür gesorgt, daß ein Treuhandfonds eingerichtet wird, so wie er es gewollt hat. Die entsprechenden Papiere erhältst du noch. Ich habe meinen Vater gebeten, dich vom Schiff abzuholen. Möchtest du in meinem Haus in Glasgow wohnen, bis du eins gefunden hast, das dir gefällt?«
»Ich möchte nichts von dir annehmen.«
»Ich habe unseren Bankiers geschrieben – wieder auf Robbs Anweisungen hin –, dir gegen Unterschrift einmal im Jahr einen Betrag von fünftausend Guineen über deine normale Abfindung hinaus auszuzahlen. Denk aber immer dran, daß du eine reiche Erbin bist. Ich kann dir nur raten, sei vorsichtig. Es wird viele geben, die versuchen werden, dir dein Vermögen zu entreißen. Du bist noch jung, und das Leben liegt vor dir…«
»Ich brauche deine Ratschläge nicht, Dirk«, entgegnete sie schroff. »Und was den Umgang mit meinem Eigentum anbelangt, so kann ich schon allein für mich sorgen. Ich hab's immer gekonnt. Und von meiner Jugend sprichst du? Ich habe mich im Spiegel angeschaut. Ich bin alt und häßlich. Ich weiß es, und du weißt es auch. Ich bin verbraucht! Aber du sitzt in aller Ruhe im Hintergrund und spielst Männer gegen Männer und Frauen gegen Frauen aus. Du bist ja froh, daß Ronalda tot ist – sie hatte mehr als nur ihr Tagewerk geleistet. Und damit wird der Weg für die nächste frei. Wer wird es sein? Shevaun? Mary Sinclair? Vielleicht die Tochter eines Herzogs? Du hast dir ja immer hohe Ziele gesteckt. Aber wer es auch sein mag, auf alle Fälle ist sie jung und reich. Und du wirst sie aussaugen wie jede andere auch. Du nährst dich von anderen und gibst selber nichts. Ich verfluche dich vor Gott und flehe darum, daß ich noch den Tag erlebe, an dem ich auf dein Grab spucken kann.«
Das Kind begann kläglich zu weinen, aber sie hörten beide sein Jammern nicht, während sie einander anstarrten.
»Eins hast du nur vergessen, um ganz bei der Wahrheit zu bleiben. Sarah. Deine Verbitterung entspringt nämlich lediglich deiner Überzeugung, dir den falschen Bruder ausgesucht zu haben. Und deshalb hast du auch Robb das Leben zur Hölle gemacht.«
Struan öffnete die Tür und ging hinaus.
»Ich hasse die Wahrheit«, schrie Sarah in die Leere hinein, die sie umgab.
Struan saß mürrisch und in sich zusammengesunken an seinem Schreibtisch im Kontor der Faktorei. Er haßte Sarah, aber er verstand sie, und ihre Verwünschungen plagten ihn. »Nähre ich mich von anderen?« fragte er laut, ohne sich dessen bewußt zu werden. Er betrachtete May-mays Porträt. »Tja, wahrscheinlich wohl. Ist das so schlimm? Nähren sich die anderen nicht auch von mir? Immer und ständig? Wer hat unrecht, May-may? Wer hat recht?«
Dann fiel ihm Aristoteles Quance ein. »Vargas!«
»Ja, Senhor.«
»Wie geht es Mr. Quance?«
»Eine sehr traurige Sache, Senhor. Sehr traurig.«
»Schicken Sie ihn bitte her.«
Gleich darauf erschien Quance in der Tür.
»Kommen Sie herein, Aristoteles«, forderte Struan ihn auf. »Und schließen Sie die Tür.«
Quance tat, wie ihm befohlen, trat dann näher und blieb niedergeschlagen vor dem Schreibtisch stehen.
»Aristoteles, Sie haben keine Zeit zu verlieren«, sagte Struan hastig. »Schleichen Sie sich aus der Faktorei hinaus und gehen Sie hinunter zur Pier. Dort erwartet Sie ein Sampan. Begeben Sie sich an Bord der Calcutta Maharajah – sie läuft in ein paar Minuten aus.«
»Was meinen Sie, Tai-Pan?«
»Es wird jemand da sein, der Ihnen hilft, mein Freund. Nur, wenn Sie
Weitere Kostenlose Bücher