Tai-Pan
Cudahy.
»Sieht so aus«, antwortete er. Er blickte nach Osten, dem Wind entgegen. Und er spürte, daß die See ihn beobachtete.
»Erste Dame«, sagte Ah Sam, berührte May-may und weckte sie. »Vaters Beiboot nähert sich.«
»Hat Lim Din seine Badewanne gefüllt?«
»Ja, Mutter. Er ist nach oben gegangen, um Vater zu begrüßen.«
»Du kannst ins Bett zurückgehen, Ah Sam.«
»Soll ich Zweite Mutter wecken?«
Yin-hsi lag auf der anderen Seite der Kammer zusammengerollt in einem Bett.
»Nein. Geh ins Bett zurück. Aber gib mir vorher noch meine Bürste und meinen Kamm, und sieh nach, ob Lim Din Frühstück bereit hat, falls Vater eins haben möchte.«
May-may lehnte sich einen Augenblick zurück und dachte an das, was Gordon Tschen ihr erzählt hatte. Dieser dreckige, schildkrötenmistige Mörder! Was für ein Witz, meinen Sohn zu beschuldigen, mit einem Geheimbund unter einer Decke zu stecken! Schließlich hatte er mehr als genug dafür bezahlt bekommen, daß er den Mund hielt und in aller Stille starb. Wie ungemein töricht!
Vorsichtig ließ sie sich aus dem Bett gleiten. Ihre Beine waren noch schwach und wie aus Watte. Nach ein paar Sekunden aber stand sie einigermaßen sicher und ohne zu schwanken aufrecht da.
»Ich fühle mich schon wohler«, sagte sie laut zu sich. Sie trat vor den Spiegel und musterte sich kritisch. »Du siehst alt aus«, stellte sie vor ihrem Spiegelbild fest.
»Ganz und gar nicht. Und du solltest auch nicht schon aufstehen«, sagte Yin-hsi, die sich in ihrem Bett aufrichtete. »Darf ich dir das Haar bürsten? Ist Vater schon zurück? Ich freue mich so sehr, daß es dir besser geht. Du siehst wirklich sehr gut aus.«
»Ich danke dir, Schwester. Er kommt gerade mit dem Boot.« May-may erlaubte Yin-hsi, ihr das Haar zu bürsten und zu flechten. »Ich danke dir, meine Liebe.«
Sie parfümierte sich und kehrte erfrischt ins Bett zurück.
Die Tür wurde geöffnet, und Struan trat auf Zehenspitzen ein. »Was treibst du denn? Wieso bist du wach?« fragte er.
»Ich wollte dich nur wohlbehalten zurückkommen sehen. Dein Bad ist fertig. Auch Frühstück. Ich bin so froh, daß du gesund und heil zurück.«
»Ich werde mich noch ein paar Stunden hinlegen. Schlaf du nur weiter, meine Kleine. Und wenn ich aufwache, werden wir zusammen frühstücken. Ich habe Lim Din gesagt, er solle mich schlafen lassen, falls sich nicht etwas Wichtiges ereignet.« Er gab ihr einen flüchtigen Kuß, von Yin-hsis Gegenwart ein wenig gestört. May-may bemerkte es und lächelte verstohlen. Wie seltsam doch die Barbaren waren!
Struan nickte Yin-hsi zerstreut zu und verließ den Raum.
»Paß auf, liebe Schwester«, sagte May-may, als sie sicher war, daß sich Struan außer Hörweite befand. »Bade jetzt in parfümiertem Wasser, und sobald Vater in tiefem Schlaf liegt, geh in sein Bett und schlaf mit ihm.«
»Aber, Erste Dame, ich bin sicher, daß Vater durch nichts angedeutet hat, er wolle mich bei sich haben. Ich habe ihn sehr genau beobachtet. Wenn ich unaufgefordert hinginge, könnte er sehr zornig werden und mich wegschicken; dann würde ich dir und ihm gegenüber sehr an Gesicht verlieren.«
»Du mußt dir nur erst einmal darüber klarwerden, daß die Barbaren ganz anders sind als wir, Yin-hsi. Sie haben keine Vorstellung vom Gesicht, wie es bei uns der Fall ist. Tu jetzt, was ich dir befohlen habe. Er wird ein Bad nehmen und zu Bett gehen. Warte eine Stunde. Dann leg dich zu ihm. Wacht er auf und schickt dich weg, hab Geduld und antworte ihm« – sie ging auf Englisch über – »›Die Erste Dame schickt mich.‹«
Yin-hsi wiederholte die englischen Wörter und prägte sie sich ein.
»Wenn das nichts nützt, komm hierher zurück«, fuhr May-may fort. »Damit hast du noch immer nicht an Gesicht verloren, das versichere ich dir. Du brauchst auch keine Angst zu haben. Ich kenne Vater sehr gut und weiß, was er über das Gesicht denkt. Wir können es doch nicht dahin kommen lassen, daß er diese dreckigen Freudenhäuser besucht. Der böse Mann ist schon gestern abend in ein solches Haus gegangen.«
»Nein!« stieß Yin-hsi hervor. »Wir haben entsetzlich an Gesicht verloren! Wie widerlich muß ich Vater sein. Vielleicht solltest du mich lieber an einen Totengräber verkaufen.«
»Puh!« rief May-may. »Wenn ich gesund wäre, würde ich ihm einiges zu tun geben. Keine Sorge, Yin-hsi. Er hat dich bisher nicht einmal gesehen. Wie oft soll ich es dir noch sagen: Er ist ein Barbar. Ist es nicht
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