Tai-Pan
anderes bedeutete als ›fremder Teufel‹.
»Sie möchte wissen, wie sie einem Nicht-Chinesen gefallen kann«, antwortete Gordon.
»Sag ihr, daß die fan-quais sich nicht von den Chinesen unterscheiden.«
»Jawohl, Sir.«
»Und sag ihr auch, daß du ihr Englisch beibringen wirst. Sofort. Sag ihr, niemand soll wissen, daß sie es von dir lernt. Niemand soll erfahren, daß sie Englisch kann. Vor anderen soll sie immer nur Chinesisch reden, oder Pidgin, das du ihr ebenfalls beibringen wirst. Und schließlich noch eins: Du stehst mir mit deinem eigenen Leben für das ihre ein.«
»Darf ich jetzt hereinkommen?« May-may stand auf der Schwelle und verneigte sich anmutig.
»Bitte.«
Ihr Gesicht war oval, die Augen waren mandelförmig, und die Augenbrauen bildeten einen ebenmäßig geschwungenen Bogen. Ein Hauch Parfüm umgab sie; ihr langes, fließendes Gewand war aus feinstem blauem Seidenbrokat. Das Haar trug sie auf dem Kopf hoch aufgetürmt und mit Jadenadeln geschmückt. Für eine Chinesin war sie groß, und ihre Haut schimmerte hell, fast durchsichtig. Sie stammte aus der Gegend von Sutschou.
Struan hatte sie von Jin-kwa gekauft und viele Wochen lang wegen des Preises mit ihm gefeilscht; aber er wußte, daß T'chung May-may tatsächlich ein Geschenk Jin-kwas an ihn war – ein Dank für viele Vergünstigungen im Laufe der Jahre; er wußte auch, daß Jin-kwa sie ohne Schwierigkeit an den reichsten Mann in China, an einen Mandschuprinzen oder sogar an den Kaiser hätte verkaufen können; als Preis hätte er ihr Gewicht in Jade bekommen – abgesehen von den fünfzehntausend Silbertaels, auf die sie sich schließlich geeinigt hatten. Sie war einzigartig und unbezahlbar.
Struan hob sie hoch und küßte sie zärtlich. »Und nun erzähl mir, was vor sich geht.« Er setzte sich in einen tiefen Sessel und nahm sie in die Arme.
»Erstens kam ich verkleidet wegen Gefahr. Nicht nur für mich, sondern für dich. Auf deinen Kopf ist noch immer die Prämie ausgesetzt. Und einen Mann wegen eines Lösegeldes entführen, ist noch immer Brauch.«
»Wo hast du die Kinder gelassen?«
»Bei Älterer Schwester natürlich«, antwortete sie. Ältere Schwester nannte May-may Struans ehemalige Geliebte Kai-sung, denn das entsprach der alten Sitte, auch wenn sie nicht verwandt waren. Und nun war Kai-sung die dritte Frau von Struans Kommissionär. Dennoch bestand zwischen May-may und Kai-sung eine tiefe Zuneigung, und Struan wußte, daß die Kinder bei ihr gut aufgehoben waren und von ihr ebenso liebevoll behandelt wurden, als wären es ihre eigenen.
»Gut«, sagte er. »Wie geht es ihnen?«
»Duncan hat ein blaues Auge. Er ist hingefallen, und so habe ich seine Amah, diese dreckige Schildkröte, geschlagen, bis mein Arm er mir runtergefallen ist. Duncan hat einen hitzigen Charakter von barbarischem Blut.«
»Von dir – aber nicht von mir. Kate?«
»Sie hat ihren zweiten Zahn. Das große Glück. Vor zweitem Geburtstag.« Sie schmiegte sich einen Augenblick in seine Arme. »Dann habe ich Zeitung gelesen. Skinner, dieser Kerl. Noch mehr schlimmer Joss, heja? Dieser Haufen Hundefleisch, dieser Brock, zerbricht dich durch große Menge geschuldetes Geld. Ist es wahr?«
»Zum Teil wahr. Ja, wenn sich unser Joss nicht ändert, sind wir bankrott. Keine Seide und keine Parfüms, keine Jade und keine Häuser mehr«, sagte er, um sie zu necken.
»Ajiii jah!« rief sie und schüttelte den Kopf. »Du bist nicht der einzige Mann in China.«
Er versetzte ihr einen Klaps hintendrauf, und sie ging mit ihren langen Nägeln auf ihn los. Mit einem Griff hatte er ihre Handgelenke gepackt.
»Sag so etwas nicht mehr«, drohte er und küßte sie leidenschaftlich.
»Allmächtiger«, rief sie und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Sieh dir an, was du mit meinem Haar angestellt hast. Diese faule Hure Ah Gip hat eine Stunde dazu gebraucht, aber es macht nichts.«
Sie wußte, daß sie ihm ungemein gefiel, und sie war stolz darauf, daß sie jetzt, mit zwanzig Jahren, Englisch und Chinesisch lesen und schreiben konnte; außerdem sprach sie Englisch und Kantonesisch, dazu ihren eigenen Dialekt, der in Sutschou gesprochen wurde, und auch das Mandarinchinesisch beherrschte sie, die Sprache Pekings und des kaiserlichen Hofes. Und stolz war sie auch darauf, daß sie so viel von dem wußte, was Gordon Tschen in der Schule gelernt hatte, denn er hatte ihr guten Unterricht gegeben, und zwischen ihnen bestand große Zuneigung. May-may wußte, daß es in
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