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Taken

Taken

Titel: Taken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Bowman
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müssen deine Mutter fragen«, erkläre ich schließlich. »Sie hat den Eintrag in das Notizbuch geschrieben, und ich will wissen, warum sie ihn beim Kopieren in die Schriftrollen verändert hat.«
    Panisch schüttelt Emma den Kopf. »Nein, das können wir nicht. Dann weiß sie, dass wir in ihren persönlichen Aufzeichnungen herumgeschnüffelt haben.«
    »Emma, diese Sache hat eine viel größere Tragweite. Vielleicht bin ich tatsächlich achtzehn und wenn, dann finde ich, jeder hier verdient zu erfahren, dass ich nicht geholt worden bin.« Ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt.
    »Aber das ist doch genau der springende Punkt, Gray«, meint Emma betrübt. »Wenn du wirklich achtzehn wärest, dann wärest du geraubt worden. Das Tagebuch irrt sich.«
    »Wenn wir deine Mutter fragen, wissen wir es genau.«
    »Was wollt ihr mich fragen?« Carter steht mit ihrer großen Tasche in der Hand in der Tür des Krankenhauses.
    »Nichts«, fällt Emma rasch ein. »Gray und ich sind nur kurz hereingegangen, um aus der Sonne zu kommen.« Und dann packt sie mich am Arm, zieht mich zum Ausgang und lässt, als Carter ihr den Rücken zudreht, das Buch auf ihren Schreibtisch fallen.

9. Kapitel
    Den Großteil der nächsten zwei Tage verbringe ich in den Wäldern, wo ich allein mit meinen Gedanken bin. Ich wandere zu den nördlichen Ausläufern, um einfach nur die Mauer anzustarren. Ich stelle mir vor, dass die Antworten auf meine Fragen auf der anderen Seite sitzen. Sie zerren an etwas in meinem Inneren und fordern mich auf, hinüberzuklettern, sagen mir, dass alles, was ich wissen will, gleich hinter diesem hoch aufragenden Bauwerk liegt. Die Idee der Wahrheit, der Umstand, dass an diesem Ort mehr sein könnte, als jemand unter uns weiß, beginnt mich in den Wahnsinn zu treiben. Was, wenn der Raub nicht einfach das ist, was wir glauben, so gerecht und unvermeidlich wie der Tod durch Altersschwäche? Bin ich nicht der lebende Beweis dafür, dass hier etwas Größeres vor sich geht?
    Wenn ich nicht durch die Wälder streife, wälze ich Pergamente. Wieder und wieder lese ich den Brief meiner Mutter. Ich suche die Bibliothek auf und studiere jede historische Schriftrolle dort. Ich spule mein Gespräch mit Emma an diesem Tag in den Wäldern erneut ab und muss ständig an Blaine denken und daran, wie er mir bei unserem Abschied zugezwinkert hat. Hat er versucht, mir etwas mitzuteilen?
    Je länger ich so mit meinen Gedanken dasitze, umso stärker wird meine Überzeugung, dass hier etwas nicht stimmt. Und zwar Claysoot. Alles daran fühlt sich inzwischen verkehrt an: die Mauer, der Raub, die ursprünglichen Kinder. Wie kann es sein, dass Menschen, die in einem umbauten Gebiet leben, keine Erinnerung daran haben, wie sie hergekommen sind? Wie sind sie hierher gelangt, obwohl man die Mauer, die es umgibt, nicht überqueren kann? Und warum nimmt der Raub, der jeden achtzehnjährigen Jungen holt, alle außer mir hinweg? Stundenlang frage ich mich, warum niemand anderer das alles hinterfragt, und dann wird mir klar, dass ich auch gerade erst begonnen habe, Fragen zu stellen.
    An einem stillen Morgen, an dem kein Wind weht, gehe ich auf meiner Suche nach Antworten zu Carter, ohne dass Emma davon weiß. Ich sitze vor ihrem Schreibtisch im Krankenhaus und frage sie ohne Umschweife, ob ich Blaines Zwillingsbruder bin. Sie sieht mich gelassen an. »Wie in aller Welt kommst du denn darauf?«, fragt sie einfach.
    »Keine Ahnung«, sage ich. »Er fehlt mir so. Und wir haben uns so ähnlich gesehen. Vielleicht werde ich einfach vor Einsamkeit verrückt.«
    »Unsere Türen stehen immer offen, falls du das Bedürfnis hast, zu reden«, gibt sie begütigend zurück. Dann erklärt sie, dass ich auf den Tag genau ein Jahr jünger bin als Blaine, aber auf keinen Fall sein Zwilling. Das macht mich wütend, weil ich überzeugt davon bin, dass sie es besser weiß. Sie kennt die Wahrheit, hat sie in ihr kleines Tagebuch gekritzelt. Warum rennt sie nicht durch die Stadt und verkündet, dass ein Junge über achtzehn dem Raub entkommen ist? Warum hat sie beschlossen, ein solches Wunder geheim zu halten? Ich habe Angst, dass der Grund auf der zweiten Seite des Briefs steht, die ich wahrscheinlich niemals finden werde. Als ich das Krankenhaus verlasse, habe ich keine Antworten bekommen, sondern neue Fragen.
    An diesem Nachmittag, während Emma und ich in meinem Haus sitzen und in dem trüben Licht des Sommerregens Dame spielen, reißt mir der

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