Taken
zu helfen, uns aber in Wirklichkeit in den Tod schicken?
Marcos Partner schiebt mich von hinten an, aber ich stemme mich dagegen. »Warum helfen Sie uns?«
Marco tritt von einem Fuß auf den anderen und hält immer noch die Tür offen. »Es ist mir nicht erlaubt, jetzt mit euch darüber zu sprechen. Außerdem haben wir keine Zeit. Aber wenn ihr einsteigt, kann ich euch zu dem Mann bringen, der alles erklären kann.«
Wind, gefolgt von Rauchgeruch.
»Komm schon, Marco«, sagt der andere Mann. »Wir müssen von hier verschwinden. Ich riskiere nicht mein Leben, nur weil die beiden zu dumm sind, um ihres zu retten.«
Die Männer steigen in das Auto. Marco lässt das Fenster herunter und sieht mich mit seinem gesunden Auge durchdringend an. »Letzte Chance, Romeo.«
Warum nennt er mich ständig so? Am liebsten möchte ich ihn verbessern, doch Emma berührt meinen Arm. »Ich finde, wir sollten einsteigen«, sagt sie.
»Ich traue ihnen nicht. Wir wissen nicht, wer sie sind und wie sie uns gefunden haben. Wenn sie uns helfen können, warum haben sie dann nicht all die anderen gerettet, die über die Mauer gekommen sind?«
Emma streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich bin mir nicht sicher, aber du weißt genau, was passieren wird, wenn wir bleiben. Ich rieche den Rauch. Wir haben beide die Leichen gesehen. Und sie sagen, dass sie uns zu dem Mann bringen können, der alles erklären kann. Haben wir denn eine andere Wahl?«
Das Auto grollt, und Marco drängt uns noch einmal. »Ich warte keinen Moment länger. Jetzt oder nie.«
Ich bin dem Raub entkommen und vielleicht, nur vielleicht, kann ich auch den Rauchgeruch besiegen. Aber Emma kann das nicht. Dies hier ist ihre einzige Chance, und ich weiß es.
»Gehen wir«, sage ich. Ich schiebe mich in das Auto, und Emma tut es mir nach.
Marco sagt etwas zu seinem Partner, doch die vorderen Sitze sind durch eine durchsichtige Scheibe vom hinteren Teil getrennt, und seine Worte klingen gedämpft und flach. Aber ich höre das Auto unter uns knurren. Emma lehnt sich an meine Schulter, und mit einem Mal fliegen wir.
12. Kapitel
Ratternd fahren wir, das Auto holpert über den unebenen Boden. Ich lege einen Arm um Emma und denke zurück an das merkwürdige Licht in Maudes Schlafzimmer. Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass sie weiß, dass hinter der Mauer noch mehr liegt, aber ich versuche mir zu sagen, dass das unmöglich ist. Wenn sie davon weiß, wenn sie es die ganze Zeit gewusst hat … Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutet.
Das Auto verlangsamt sein Tempo, und wir bleiben vor einem Mauerabschnitt stehen. Nicht unserer Mauer, sondern einer zweiten. Emma und ich waren die ganze Zeit gefangen, sowohl in Claysoot als auch außerhalb. Auf dem Vordersitz nimmt Marco wieder das Kommunikations-Gerät und spricht hinein.
Was als Nächstes geschieht, erscheint unmöglich. Ein kleiner Teil der Mauer ruckt, und dann bewegt sie sich, weicht auseinander wie eine Wolke, die sich teilt. Augenblicklich liegt ein leerer Raum vor uns, ein freier Durchgang, der direkt in die Mitte des Bauwerks führt.
Emma setzt sich auf. »Hast du das gesehen?«
Wie vom Donner gerührt nicke ich.
»Glaubst du, wir könnten das auch? Zu Hause in Claysoot? Glaubst du, dass unsere Mauer auch einen Abschnitt hat, der sich öffnet, und wir haben ihn bloß noch nicht gefunden?«
Aber ich habe keine Chance, ihr zu antworten, denn wir rasen wieder davon, und dieses Mal so schnell, dass mir übel wird.
Wir kommen auf einem zugefrorenen schwarzen Fluss heraus, der so gerade und exakt verläuft, dass ich mich frage, ob er überhaupt ein Fluss ist. Er fließt pfeilgerade über den Boden. Am Himmel hängen graue Wolken. Das Gras ist trocken. Hier draußen herrscht eine große Leere, es ist einfach nur Land, das immer weitergeht. Ich frage mich, wie weit es reicht, und denke daran, wie klein Claysoot im Vergleich dazu ist.
Irgendwann fahren wir an mehreren klapprigen Wohnhäusern und verfallenen Gebäuden vorbei. Emma zeigt auf die müden, schmutzigen Gesichter der Menschen. Ein Ort wie Claysoot. Niedergeschlagene Augen und ein frischer Erdhügel verraten, dass hier ein Begräbnis stattfindet. Weiter draußen, hinter dem Ort, sehen wir zwei Jungen, die Wassereimer tragen. Die Muskeln an ihren Unterarmen treten hervor. Ich kann mir vorstellen, dass sie mit Blasen an den Händen nach Hause kommen werden. Entweder das, oder sie unternehmen diesen Gang so oft, dass auf ihren
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