Taken
die Kontrolle hat und wer immer noch ein Gefangener ist. Ich bin mir sicher, dass ich sie jetzt überwältigen könnte, wenn ich wirklich wollte. Ich fühle mich gut genug. Aber dadurch komme ich nicht zu meinem Vater, und ganz bestimmt würde es nicht dazu beitragen, mir Vertrauen zu erwerben.
»Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit«, sagt sie und winkt mich energischer weiter.
Spöttisch hebe ich die Hände über den Kopf, als fühle ich mich durch ihren Befehl wirklich bedroht. »Aha, jetzt bin ich wieder dein Gefangener, was?«
»Daran hat sich nie etwas geändert.« Sie lächelt tatsächlich ein bisschen. Kein zorniges Lächeln, sondern ein Grinsen, das eine Sekunde lang aufflammt und dann verschwunden ist.
Wie sich herausstellt, wurde ich in einem Verhörzentrum festgehalten. Auf dem Weg durch die steinernen Gänge passieren wir Luke, der uns blutige Hände entgegenstreckt. Darin hält er ein hässliches, abscheuliches Instrument. Irgendwo in einem dunklen Gang hinter ihm höre ich einen erstickten Schrei, bei dem mir Schauder das Rückgrat hinunterlaufen. Sie verstärken sich nur noch, als Luke mir ein Lächeln zuwirft, das bestimmt beruhigend gemeint ist. Ich versuche immer noch, den Schauder abzuschütteln, als wir aus dem dunklen Felsgang in einen sonnigen Nachmittag hinaustreten.
Ich sehe keinen Weg, aber Bree geht voran, als wisse sie genau, wohin sie treten muss. Oben auf einem Kamm, wo das Terrain kurz eben wird, beuge ich mich nach vorn und schnappe nach Luft. Bree wartet geduldig und wirft mir dann, als ich mich aufrichte, eine Feldflasche zu. Ehe ich ihr danken kann, sind wir schon wieder unterwegs.
Schweigend wandern wir weiter, bis wir zu einer Stelle kommen, die mir wie eine Sackgasse erscheint. Die steilen Wände des Massivs, bei dem es sich um Mount Martyr handeln muss, wirken erdrückend. Es würde Tage dauern, sie zu erklettern, und vor uns erhebt sich eine Felswand.
»Hier sind wir«, verkündet Bree.
In dem Glauben, dass sie mit jemand anderem spricht, sehe ich mich um, aber wir sind allein. Der einzige Weg führt zurück.
»Wir haben soeben den Fuß des Mount Martyr erstiegen. Und das …« – sie weist auf die riesige Steilwand – »ist der Durchgang nach Crevice Valley.«
»Crevice Valley?« Dieser Name stand nicht auf Franks Karte für die Operation Frettchen.
Sie nickt. »Das Hauptquartier.«
Ich betrachte das gewaltige Felsmassiv. »Sieht aber gar nicht wie ein Tal aus.«
»Das liegt daran, dass man zuerst durch den Felsspalt gehen muss.« Sie tritt auf die Steilwand zu, die hoch über uns aufragt, und als ich ihr folge, erkenne ich den Durchgang. Es ist ein dunkler Schlitz, der von unseren Füßen bis zum Himmel senkrecht durch den Stein verläuft und so schmal ist, dass er kaum auszumachen ist. Kein Wunder, dass es dem Orden nicht gelungen ist, diesen Ort zu finden. Sogar wenn man direkt davor steht, ist der Eingang schwer zu erkennen.
»Du zuerst«, sagt Bree.
»Hier durch?« Zweifelnd zeige ich auf den schmalen Riss im Fels. »Gibt es keinen anderen Eingang?«
»Doch, aber dazu müssten wir das ganze Gebirgsmassiv umgehen, und dazu haben wir keine Zeit. Jetzt setz dich in Bewegung.«
Es ist leichter, als ich befürchte, mich durch den Felsspalt zu schieben, was aber nicht daran liegt, dass er etwa breit oder gut beleuchtet wäre, sondern daran, dass er der einzige Weg ist. Seitwärts, den Rücken an den Fels hinter uns gepresst, schieben wir uns durch die winzige Öffnung und kratzen dabei mit der Nase fast über die gegenüberliegende Seite.
Schließlich wird der Durchgang geräumiger. Bald ist der Spalt breit genug für meine Schultern, sodass ich mich normal bewegen kann. Kurz darauf geht Bree neben mir. Das Licht, das vom Eingang aus einfällt, ist fast vollständig verschwunden, als vor uns ein anderes auftaucht.
»Was ist, wenn ihr fliehen müsst?«, erkundige ich mich, während wir den immer breiter werdenden Weg entlanggehen. »Oder wenn der Orden eindringt?«
»Dann nehmen wir den Hinterausgang.«
»Und wenn sie durch beide Zugänge gleichzeitig kommen? Dann sitzt ihr hier wie auf dem Präsentierteller. Ihr habt euch selbst eine Falle gestellt.«
»Du traust uns so wenig zu.« Verwirrt starre ich sie an, und sie zeigt hinauf in die Spalten in den Felswänden, die uns umgeben. Hoch oben sitzen wie Insekten bewaffnete Männer in den Rissen in der hohen Felswand. »An beiden Eingängen wird Tag und Nacht patrouilliert. Und wenn nötig, können wir
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