Taken
ich habe das Gefühl, wenn er lügen würde, könnte ich ein Beben darin wahrnehmen, so wie ich es bei Blaine kann. »Aber ich bin mir sicher, dass Bree dich gern zur Bibliothek führt, wenn du die Unterlagen selbst lesen willst.«
Uninteressiert zuckt sie mit den Achseln. »Ja, kann ich irgendwann machen. Jetzt gehe ich allerdings in den Kessel, zum Abendessen.«
»Gute Idee«, meint mein Vater. »Gray braucht auch eine richtige Mahlzeit.« Er betrachtet meine ramponierte Ordensuniform. »Und es würde auch nicht schaden, vorher einen Halt im Waschraum einzulegen«, setzt er hinzu.
Bree lässt die Sachen auf mein Bett fallen und wendet sich zum Gehen.
»Du wartest auf ihn, Bree«, sagt mein Vater. »Er kennt sich nicht aus, und ich muss zu einer Sitzung.«
Sie wirft einen Blick zur Tür. »Aber ich bin am Verhungern.«
»Du wartest auf ihn, das ist ein Befehl.«
Etwas in seinem Ton lässt Bree Haltung annehmen. »Ja, Sir.«
Owen nickt knapp. Er sagt noch, dass wir uns morgen früh sehen werden, und verabschiedet sich dann. Sobald er außer Sicht ist, stößt Bree einen dramatischen Seufzer aus und lässt sich aufs Bett fallen. »Du hast fünf Minuten.«
»Und sonst?«
»Werde ich rein zufällig zu beschäftigt sein, um dich nach dem Essen in die Bibliothek zu bringen.«
Ich greife mir die Kleider und verlasse eilig das Zimmer.
Der Gemeinschaftswaschraum am Ende meines Tunnels ist klein und einfach, aber es fühlt sich gut an, mir die Haut nass zu machen. Rasch seife ich mich ein und reibe mir mit einem Seifenstück über Arme und Kopf. Zufrieden stelle ich fest, dass die kratzigen Haarstoppeln auf meinem Schädel ein ganz klein wenig weicher geworden sind.
Die Kleidungsstücke, die Bree mir gebracht hat, sind einfach, aber bequem: ein weites Baumwollhemd und Leinenhosen. Saubere Socken. Als ich mich anziehe, habe ich fast das Gefühl, wieder in Claysoot zu sein. Ich gehe zurück in mein Zimmer und stopfe meine Ordensuniform in die Kommode.
»Jetzt siehst du beinahe annehmbar aus«, bemerkt Bree. Ich verdrehe die Augen, aber sie hat mir schon den Rücken zugedreht. »Hier entlang. Das Essen findet im Kessel statt.«
Im Tal steht hinter dem Markt und den Feldern und in der Nähe eines Gebäudes, das wie ein einfaches Schulhaus aussieht, ein großes Bauwerk, das Bree als »Kantine« bezeichnet. Die Einrichtung erinnert mich an den Speisesaal in Taem. Lange Tische und grob gezimmerte Holzbänke füllen den Raum aus. Am anderen Ende befindet sich eine offene Küche, und wir stellen uns in die Warteschlange an der Essensausgabe. Von den zornigen Blicken, die mir vorhin zugeworfen wurden, ist nirgendwo etwas zu bemerken. Mit meiner farblosen Kleidung füge ich mich nahtlos ein.
Das Essen ist erstaunlich gut, aber streng rationiert. Nach meiner kleinen Mahlzeit – eine Tasse Suppe, ein Stück Brot und ein halber Maiskolben – bin ich immer noch hungrig, aber ein wenig Essen ist besser als gar keins. Bree und ich sitzen an einem Tisch mit mehreren anderen Rebellen, mit denen sie sofort ins Gespräch kommt. Da sie mich nicht vorstellt, höre ich einfach zu.
»Wir haben sie noch nicht gefunden«, erklärt Bree einem stämmigen Jungen, der neben ihr sitzt.
»Du hast doch gesagt, Luke hätte einen«, wirft er ein.
»Verdammt, Hal, hörst du denn nie richtig zu?«, meldet sich ein anderes Mädchen am Tisch zu Wort und wirft ihm ein Stück Brot ins Gesicht. »Sie haben vor ein paar Tagen einen von ihnen gefangen, und Luke verhört ihn seitdem, aber es gibt keine neuen Entwicklungen.«
»Danke, dass du es so unumwunden ausdrückst, Polly.« Hal wirft das Brotstück zurück, und es trifft sie mitten zwischen die Augen und fällt mit der Rinde zuerst in ihre Suppe. Brühe spritzt auf die Vorderseite ihrer Tunika und die braunen Zöpfe, die ihr Gesicht umrahmen.
»Wenn wir schon über Details reden«, sagt Bree, räuspert sich und stellt damit klar, dass sie und nur sie über alle Informationen verfügt, »der Mann, den wir gefangen genommen haben, gesteht nichts. Will uns nichts über die Einzelheiten der Operation oder den möglichen Standort von Evans Leuten sagen. Ich vermute ja, dass sie schon lange fort sind.«
»Wohin?«, fragt Hal.
»Zurück nach Taem«, meint sie. »Ich schätze, unsere Chancen, sie zu erwischen, sind ziemlich gering, und der Mann im Verhörzentrum wird wahrscheinlich unter Lukes Klinge sterben, bevor er etwas sagt.«
»Verflixt.« Polly seufzt. Mit ihrem Brot tunkt sie den Rest
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