Tal der Tausend Nebel
ernsthaftes Gespräch an.
»Ich kenne dich seit drei Jahren. So wie jetzt warst du noch nie. Was ist dir wirklich passiert? Ich meine, man läuft doch nicht einfach so gegen einen Pfeiler …«
»Ich war eben unkonzentriert …«
Maja war gereizt, lächelte Stefan aber bittend an. Er sollte sie nicht länger nerven, nicht heute. Sie würde sich ihm ohnehin nicht anvertrauen. Aber weil er keine Ruhe gab, log sie erneut, so als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan.
»Also gut! Ich war irritiert, denn ich hatte auch noch Ärger mit dem Wagen. Es ist eine Delle in der Kühlerhaube. Ein Junge mit einem Fußball in der Nähe des Seminargebäudes hat schlecht gezielt. Ich habe bei dem Aufprall einen Riesenschreck bekommen, sag ich dir. Es hat ziemlich gekracht. Gut, dass es nicht die Windschutzscheibe war! Aber die geht wohl nicht so leicht kaputt wie das Blech der Kühlerhaube, oder?«
Stefan runzelte die Stirn.
»So eine Kühlerhaube hält einen Fußball auch aus, außer natürlich der Ball war aus Beton.«
Er wusste, dass sie log. Sie vermied seinen Blick und wünschte sich in diesem Moment mindestens einen halben Erdball weiter.
Die Lifttüren gingen direkt zu dem Penthouse hin auf. Maja klingelte. Da Stefan mit ihrer Erklärung unzufrieden war, fuhr sie fort, während sie warteten.
»Der Junge war ziemlich kräftig, weißt du, aber noch jung, maximal zwölf oder dreizehn. Ich habe ihn laufen lassen, damit er zu Hause keinen Ärger bekommt. Das hättest du doch sicher auch getan, oder?«
Wieder keine Antwort, nur dieser tadelnde überlegene Blick, den er so gut drauf hatte. Die Tür öffnete sich. Überrascht machte Maja einen kleinen Schritt rückwärts. Vor ihr stand eine der schönsten Frauen, die sie in ihrem Leben gesehen hatte. Die zarte Südseeschönheit mochte um die dreißig sein, hatte ein dralles Baby auf dem Arm, und hinter ihr stand ein zartes kleines Mädchen, ungefähr zwei Jahre alt. Ihre Stimme war sanft und wohlklingend, ähnlich wie die von Keanu, auch sie lächelte beim Sprechen.
»Aloha, Sie müssen Maja sein. Mein Cousin hat mir von Ihnen erzählt.«
Ihr Deutsch war gebrochen, ihre sorgfältige Aussprache zeugte von einem hohen Bildungsstand. Dr. Chang, wie sie sich ihnen vorstellte, war eine Spezialistin für Nierenleiden und arbeitete mit ihrem Mann, ebenfalls einem Urologen, seit zwei Jahren in Nizza. Ursprünglich kam sie aus Kauai und war weitläufig mit Keanu verwandt. Cousin und Cousine im weiteren Sinne. Sie strahlte Maja an.
»Keanu hat Ihnen an meine Adresse bereits eine Nachricht geschickt. Bleiben Sie doch bitte zum Tee.«
Stefan und Maja akzeptierten die Einladung, nachdem die Plastiktüte diskret den Besitzer gewechselt hatte.
Dr. Chang verstand es danach geschickt, Stefan in ein medizinisches Fachgespräch zu verwickeln, sodass Maja in Ruhe an ihren Computer konnte.
Maja spürte ihr Herz überlaut schlagen, als sie Keanus Nachricht las. Er hatte auf Englisch geschrieben. Fast förmlich bedankte er sich bei Maja für das Zurückbringen der Leihgabe zu seiner Cousine und erging sich noch in einigen Unverbindlichkeiten. Maja fasste es nicht, aber weiter stand dort wirklich nichts. Keinerlei noch so kleine Anspielung erinnerte an ihre einzigartigen Erlebnisse miteinander. Er hatte ihr im Grunde genommen kein einziges persönliches Wort geschrieben. Stattdessen schrieb er ihr Namen und Adresse einer weiteren Kontaktperson in München. Wieder war von einer Cousine die Rede, die diesmal etwas für Maja hatte, das sie möglichst bald abholen sollte. Majas Enttäuschung war übermächtig. Aber was hatte sie erwartet? Einen elektronischen Rosenstrauß?
Von dem offenen Fenster des Arbeitszimmers aus konnte Maja weit über den Hafen von Nizza aufs Meer hinaussehen. Sie ließ Revue passieren, was geschehen war oder, besser gesagt, was nicht eingetreten war. Die Polizei hatte nicht an ihrer Tür gestanden, um die Kühlerhaube ihres Wagens zu inspizieren. Der geheimnisvolle Haifischmann war ebenfalls nicht mehr aufgetaucht, obwohl es nicht so schwer sein konnte, Maja in Antibes aufzuspüren. Vielleicht aber war sie nach Keanus Abreise uninteressant geworden. Nie würde sie die Worte vergessen, die der Typ ihnen nachgerufen hatte, als sie beschützt von Keanus Waffe ins Auto gestiegen war.
»We will kill you – and your kind, forever!«, hatte der Haifischmann in seinem eigenartigen Englisch gesagt und dabei gelächelt.
Doch Maja schien es im Nachhinein so, als sei
Weitere Kostenlose Bücher