Tal der Tausend Nebel
gerade Keanu auf lange Sicht etwas Besonderes sein, besonderer selbst als Anelas Mann, der hinreißend war, auch zu ihren beiden Kindern. Außerdem schien er seine Frau von Herzen zu lieben.
Es musste für Anela die Romantik des Heldentums sein, die Keanu in seinem Kampf für sein Volk verkörperte, schloss Maja, als sie sich die Hände wusch. Dabei sah sie ihr Gesicht im Spiegel an und wusste, dass sie erneut log. Keanu war ein großartiger Mann, das hatte sie gesehen, im Seminar, mit anderen, aber auch als sie zu zweit waren. Hoffentlich war es für sie vor allem das Geheimnis von Elisas Geschichte, das sie mit Keanu verband. Das hoffte sie inständig, denn dann würde ihr Gefühl für ihn vorübergehen. Es hatte sie erwischt wie ein Blitzschlag aus dem Nichts. Es war so stark, dass Stefan zu einem Schatten von bedeutungslosem Grau verblasst war. Als sei ihre Liebe verbraucht … und ohne jegliche Energie. Und das hatte rein gar nichts mit Stefan selber zu tun.
Maja suchte im Spiegel in ihren mandelförmigen Augen nach Antworten auf Fragen nach ihren Wurzeln in der Südsee, denn damit konnte sie zumindest tatkräftig umgehen. Sie würde zu Hause in der Vergangenheit forschen, um Ruhe vor Keanu zu finden. Er war wie ein verheerender Wirbelsturm über sie gekommen, der keinen Baustein auf dem anderen gelassen hatte.
Aber die Ahnenforschung war nicht alles, was sie nach ihrer Rückkehr in München zu erledigen hatte. Eins war ihr in den letzten Tagen klar geworden. Wenn sie Stefan wirklich nicht mehr liebte und ihre Beziehung vorbei sein sollte, dann würde sie es ihm möglichst schonend und zum richtigen Zeitpunkt beibringen müssen. Die Frage war nur: Gab es je den richtigen Zeitpunkt für derartig niederschmetternde Neuigkeiten?
12. Kapitel
Waimea Valley, Herbst 1894
Die ersten beiden Monate nach der Gewalttat waren für Elisa wie im Flug vergangen. Sie lebte in der dschungelartigen Wildnis zwischen den beiden größten Bergen Kauais wie eine Königin. Dafür sorgte Kelii immer wieder aufs Neue, wenn er bei ihr sein konnte. Während ihren ausgedehnten Wanderungen zeigte er ihr paradiesische Geheimplätze. Oft waren seine Orte versteckt, und Elisa musste durch ein Flussbett waten oder aber hohe Felsen überwinden, um sie zu erreichen. Aber immer lohnte es sich.
Die zerklüftete Landschaft des Waimea Valleys, das sich viele Kilometer lang durch die Insel zog, war voll mit traumhaften Geheimverstecken, die nur Einheimische kannten. Meist unzugänglich aber von wilder exotischer Schönheit war dieser Garten Eden, in den Kelii Elisa geführt hatte. Jeder neue Platz brachte ihr Gesicht zum Strahlen. Aber sie sprach kein einziges Wort.
Wie schon vor einem Jahr, als Kelii ihr Bein nach dem Biss des Haifisches mit dem grünen Pulver und seiner grenzenlosen Geduld geheilt hatte, behandelte er sie auch dieses Mal mit äußerster Sorgfalt. Er brachte ihr bestimmte Früchte und Wurzeln, die sie essen sollte. Er achtete darauf, dass sie jeden Tag viel Wasser trank. Auch führte er sie anfangs bei Sonnenuntergang täglich an einen stillen Ort, an dem sie verharren und still beten sollte. Er wusste, wie krank ihre Seele war, auch in der Zeit, als Elisa das Ausmaß des Schadens selbst noch gar nicht wahrnehmen konnte, weil sie durch den Schock wieder zum Kind geworden war.
Sie war in den ersten Wochen vor allem glücklich, am Leben zu sein. Danach war sie froh, dem Schicksal entkommen zu sein, das ihr Onkel für sie bestimmt hatte. Es fiel Elisa am Anfang nicht auf, dass sie voller Angst vor Keliis Händen zurückzuckte, weil es Männerhände waren. Nach einiger Zeit wurde sein körperlicher Abstand normal für sie. Nicht mehr von ihm berührt zu werden, bedeutete Sicherheit und Entspannung. Sie belohnte ihn dafür mit einem dankbaren Kinderlächeln.
Kelii sprach nie über seine zunehmenden Gefühle von Frustration und Leid, denn auch er schien anfangs einfach nur glücklich zu sein, wenn er an ihrer Seite sein konnte. Besondere Freude machte es ihm, ihr von seinen Ausflügen Dinge mitzubringen. Bisweilen musste er tagelang fortbleiben, um keinen Verdacht zu erwecken.
Für die Bewohner der Plantage war Elisa seit ihrem nächtlichen Ausflug mit Janson offiziell tot. Es gab dort nur einen Verbündeten und Mitwisser. Zwar arbeitete Johannes bereits seit einiger Zeit für Gerit Janson in Lihue, aber er war immer noch oft auf der Plantage. Zwei Tage die Woche verbrachte er auf der Paul-Vogel-Plantage, wie sie jetzt hieß,
Weitere Kostenlose Bücher