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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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kein Wort, aber ihre hochgezogene Augenbraue schien zu fragen, wo Elisa so lange gewesen war. Dann lächelten die Frauen sich zu, zunächst vorsichtig, aber dann erleichtert. In dem Nebelfeld im Nirgendwo waren sie jetzt beide nicht mehr allein. Elisa wollte ihre Hand nach Maja ausstrecken, traute sich dann aber doch nicht und zog sie schnell zurück. Vielleicht war Maja ja gar nicht wirklich da, sondern nur eine Illusion, hervorgerufen durch das grüne Pulver aus dem Tal der Tausend Nebel.
    Als könnte Maja ihre Gedanken lesen, streckte jetzt sie ihre Arme aus. Als Elisa von ihr umarmt wurde, spürte sie zuerst die goldene Wärme von Majas Haut. Diese Erscheinung fühlte sich sehr wirklich an, so als würde die Fremde mit den Mandelaugen mitten in ihrem Schlafzimmer auf Kauai stehen. Eine Welle tiefer Dankbarkeit stieg in ihr auf. Ein Engel, dachte sie, Maja musste so etwas wie ihr persönlicher Schutzengel sein.

    … das Ich ist ein Meer, grenzenlos und unermesslich.
    Khalil Gibran
    Prophet (1883–1930)

5. Kapitel
    Côte d’Azur, September 2010

    Majas Lungen schmerzten. Sie wollte länger in Elisas Welt bleiben, konnte aber die Luft nicht mehr anhalten. Mit letzter Kraft kam sie zurück an die Wasseroberfläche. Keanu wartete bereits auf sie. Ein Blick auf ihr fassungsloses Gesicht und er wusste Bescheid.
    »Elisa war da, nicht wahr?«
    Maja nickte erstaunt. Er wusste, was sie erlebt hatte? So verrückt es auch schien, so logisch war es für Keanu. Er sagte ihr noch einmal, dass sie eine ganz besondere Verbindung hatten. Maja sollte einfach geschehen lassen, was ohnehin unvermeidbar war. Ihre Welten mussten sich früher oder später treffen. So war es durch Elisas Schicksal vorherbestimmt.
    Für Maja war es ungeheuerlich und in keiner Weise nachvollziehbar, was er ihr sagte, während sie gemeinsam auf den dunklen Wellen trieben. Sie kannten sich ja kaum! Dennoch hatte sie durch seinen Haifischzahn in diesen wenigen Sekunden unter Wasser ihr Leben mit einer jungen Deutschen geteilt, die vor über hundert Jahren nach Hawaii ausgewandert war. Keanu beantwortete ihre Fragen nach dem Haifischzahn so gut er konnte. Der Zahn gehörte einst Großvater Hai. Er hatte eine sehr wichtige Bedeutung, weil mit ihm für Keanus Familie auf Kauai etwas begonnen hatte, das bis heute nicht vollendet worden war.
    Weiter über das Erlebte sprechen konnten sie beide nicht, denn jeder hing jetzt seinen Gedanken nach. Das, was Maja gerade unter Wasser erlebt hatte, war für sie unfassbar, weil es in der Welt ihres bisherigen Lebens keinerlei Sinn machte. Sie hatte nie Visionen. Sie dachte sich auch keine Geschichten aus und hielt sich psychisch für durchschnittlich stabil.
    Natürlich hatte sie in ihrem Leben schon unendlich viele Filme gesehen, auch einige über Hawaii. Sie wusste, dass »Jurassic Park« aber auch einer der »King Kong«-Filme auf Kauai gedreht worden war. Sie hatte wegen ihres Vaters Bücher über Kauai gelesen. In ihren Träumen ging es besonders um Vollmond herum bisweilen wild und lebhaft zu. Aber was sie jetzt gerade erlebt hatte, war etwas völlig anderes. Sie war mit einer Frau verschmolzen, die schon seit Langem tot war. Dabei hatte Maja nichts anderes getan, als mit Keanus Haifischzahn unter die nächtliche Wasseroberfläche zu tauchen. Es war Magie. Es musste so etwas wie Magie sein, die in diesem Zahn steckte. Er hatte die Bilder produziert, die realer als jeder Film waren.
    Doch dann verwarf sie diese Idee wieder. Es konnte nicht der Zahn alleine gewesen sein, denn Maja hatte Elisas Erlebnisse irgendwie geteilt. Sie hatte mit ihr um das Überleben gekämpft, als der Hai ihr Bein anfiel. In der Höhle hinter dem Wasserfall hatte sie die fieberhafte Erregung von Kelii gespürt. Sie hatte mit Elisa unter dem roten Jasminbusch gesessen und zugesehen, wie Johannes mit ihren kleinen Cousinen Ball spielte. Nein, halt, es waren nicht Majas Cousinen, sondern Elisas Cousinen gewesen. Aber für Maja hatte es sich angefühlt, als wäre sie Elisa.
    Keanu sah sie durchdringend an.
    »Willst du ihn mir zurückgeben, oder willst du noch einmal zu Elisa?«
    »Nein, das will ich nicht … nicht jetzt.«
    Schweigend gab Maja ihm den Haifischzahn zurück. Weiter über das Erlebte sprechen konnte sie noch nicht, denn dazu war sie viel zu aufgewühlt. In ihrem Inneren tobte ein Sturm, weil ihr Verstand nicht begreifen konnte, was geschehen war. Ihr Treffen mit Keanu war also doch kein Zufall gewesen. Über seine Ahnen hatte

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