Tal der Traeume
abreisten.
Sibell Hamilton empfand Mitleid mit Harriet, deren Panik sie mit Händen greifen konnte. Kein Wunder, dachte sie bei sich. Schließlich bin ich selbst ständig in Aufruhr. Ich spüre die Panik ja selbst. Die gesellschaftlichen Verpflichtungen waren ihr eine zusätzliche Bürde, der ständige Zwang, lächeln zu müssen, den Eindruck zu erwecken, alles sei in bester Ordnung, obwohl sie doch viel lieber für sich geblieben wäre und sich verkrochen hätte. Aber Sibell versuchte, nicht allzu viel über die Gründe ihrer Schwermut nachzudenken. Sie war sicher, zu viel Gegrübel würde sie nur noch mehr verwirren. Und immerhin hatte sie ja die Hoffnung, ihr Kummer sei nur eine vorübergehende Phase und würde sich eines schönen Tages in Luft auflösen. Vielleicht… Sie seufzte. Sie seufzte in letzter Zeit entschieden zu viel, so sehr sie auch versuchte, es sich abzugewöhnen, aber dieser Seufzer war ihr einfach herausgerutscht. Eines war sicher: Das Leben im Outback konnte sie nicht mehr ertragen. Möglicherweise hatte all der Kummer, der mit dem Leben dort draußen verbunden war, ihre Schwermut irgendwann ausgelöst, also musste sie fort. Bei dem Gedanken an ein Leben in Perth hob sich ihre Stimmung. Wenigstens lag die Stadt weit genug im Süden, um ein gemäßigtes Klima zu haben. Wie angenehm würde es sein, nach all den Jahren im Busch endlich wieder in einer richtigen Stadt zu leben! Angespornt von einer seltenen Leichtigkeit in ihrer Stimmung und von Mitleid für Harriet, atmete Sibell tief durch und machte sich auf die Suche nach William. Sie schalt ihn, weil er seine Frau so unvorbereitet in diese schwierige Lage gebracht habe. »Guter Gott, das arme Mädchen muss sich vorkommen wie eine Hotelbesitzerin. Sie ist nicht an unsere offenen Häuser gewöhnt. Ich meine, wo gibt es so etwas außer hier in dieser Stadt? Sie weiß nicht, welche Spirituosen sie kaufen muss, von Lebensmitteln ganz zu schweigen, und diese Frauen, die für sie arbeiten, könnten nicht einmal ein Lager für Schwarze leiten.« »Ich weiß«, entgegnete er, »Harriet hat es nicht leicht. Aber ich beklage mich nicht und kritisiere sie auch nicht, Sibell. Ich möchte sie um nichts in der Welt aufregen. Was sonst kann ich tun?« »Hatte sie schon Probleme, bevor wir angekommen sind?« »O ja. Die Dienstboten kamen und gingen, du weißt ja, wie schwer man hier gutes Personal findet.« »Warum nimmst du keine Chinesen? Wo sind eigentlich Billy Chinn und Tom Ling? Sie waren doch seit Jahren bei dir.« »Auch das hat nicht funktioniert. Sie sind Harriet zu sehr auf die Nerven gegangen, haben ihre Anweisungen ignoriert, und sie war auch nervös, weil Männer für sie arbeiteten.« »Verstehe.« Sibell dachte nach. »Ich glaube, du solltest sie zurückholen.« »Das geht nicht. Es ist Harriets Haus, und ich kann ihre Wünsche nicht einfach missachten.« »Dann rede ich mit ihr.« »Sehr schön. Aber du kennst die Chinesen. Wenn sie die beiden zurückholt, verliert sie in ihren Augen das Gesicht, und dann lassen sie sich gar nichts mehr von ihr sagen.« Sibell lachte. »Dann liegt es an dir.« Seine Frau erschien mit einem Tablett voller Tassen und Untertassen in der Tür. »Ich serviere den Tee auf der Veranda, möchtet ihr euren lieber hier drinnen?« »Nein, wir kommen nach draußen zu den anderen«, antwortete William. Er bemerkte das Stirnrunzeln, das Harriets Gesicht bei ihren Versuchen, es allen recht zu machen, gar nicht mehr verließ, und fühlte sich schuldig. Schuldig, weil seine Frau nach nur sechs Monaten als Hausherrin das spontane Lächeln verloren hatte, das ihm so gefallen hatte. Er grinste Sibell an. »Vielleicht könnte ich Billy und Tom wissen lassen, dass ihre Strafe verbüßt ist. Sie arbeiten beide in Murphys Hotel und machen sich dort sehr unbeliebt, weil es ihnen nicht gefällt. Es ist unter ihrer Würde«, sagte er lachend. »Ich könnte sie wissen lassen, dass wir sie vielleicht zurücknehmen, falls sie sich bei Mrs. Oatley entschuldigen.« »Ausgezeichnete Idee. Ich sage Harriet, sie soll überrascht tun, wenn sie auftauchen. Das wäre also erledigt, William. Wie geht es Myles? Wann kommt er heim? Er ist schon so lange fort, und Lucy vermisst ihn so sehr.« »Bald, meine Liebe. Er ist ja noch nicht mal ein Jahr unterwegs.«
Als die Gäste gegangen waren, bemerkte William, dass es aufklarte. Er ging in den Park am Meer, um sich den Sonnenuntergang anzuschauen, und wurde nicht enttäuscht. Die Sonne, die
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