Tal der Träume
vage. Es war noch zu früh, das Kind zu erwähnen. »Ich bin zuversichtlich, dass sie William sicher heimbringen.«
»Gott, das hoffe ich. Ich komme mir so nutzlos vor, weil ich nicht helfen kann.« Sie sah furchtbar aus, ihr Haar war ungekämmt, ihr Gesicht blass und müde, und Sibell merkte, dass sie getrunken hatte.
»Kann ich etwas für dich tun?«, fragte sie. »Soll ich deinen Freunden Bescheid sagen, damit sie zu dir kommen?«
»Ich habe keine Freunde, es sind alles Williams Freunde, nicht meine.«
»Das ist doch nicht wahr, meine Liebe. Denk daran, dass niemand außer uns weiß, dass William in Schwierigkeiten steckt.«
Sie fühlte sich schuldig, weil sie das Mädchen nicht in ihr Haus bitten konnte, doch Harriet hatte von Maudie und Lucy nur wenig Mitgefühl zu erwarten. Konnte doch etwas Wahres an dieser hässlichen Geschichte sein? Maudie schien zu glauben, dass William die Stadt deshalb so abrupt verlassen hatte. Sicher war es ein ungewöhnlicher Schritt, da Weihnachten so kurz bevorstand, denn William liebte die Feiertage.
Harriet seufzte. »Meinst du wirklich, er kehrt sicher heim?«
»Natürlich. Aber eines möchte ich dir sagen, meine Liebe: ich würde an deiner Stelle im Moment auf Alkohol verzichten.«
»Was?« Harriet schien abstreiten zu wollen, dass sie getrunken hatte, zuckte dann aber die Achseln. »Warum denn? Ein kleiner Gin am Nachmittag ist gut für die Gesundheit. Ich habe ohnehin nichts Besseres zu tun.« Sie erhob die Stimme. »Ich habe in dieser furchtbaren Stadt nie etwas zu tun. Schau doch hinaus! Sie ist grau und deprimierend, dauernd nieselt es, meine Nerven machen das nicht mit.«
»Du wirst dich besser fühlen, wenn die Regenzeit richtig anfängt.«
Harriet starrte sie an. »Anfängt? Ist das noch nicht die Regenzeit? Ich habe schon vergessen, wie die Sonne aussieht.«
»Das ist nur der Anfang. Wenn der Monsun uns richtig trifft, blasen gewaltige Stürme, und der Regen klatscht gewaltig gegen die Fenster. Dennoch ist es eine ungeheure Erleichterung.« Sie hielt inne und sah Harriet an. »Aber das weißt du doch. Du warst doch im letzten Jahr schon hier. Ich weiß noch, wie du gesagt hast, die tropischen Wolkenbrüche machten dir nicht das Geringste aus.«
»Im letzten Jahr war es anders«, meinte Harriet schmollend.
»Natürlich. William war hier, und du hast dich amüsiert. Er wird bald zurückkommen, lass dich nicht unterkriegen.«
Harriet schüttelte den Kopf. »Ich brauche wirklich etwas zu trinken.« Sie läutete mit einer kleinen silbernen Glocke, die auf einem geschnitzten Beistelltisch neben ihrem Sessel stand.
Sofort erschien Tom Ling. »Ja, Missy?«
»Ich hätte gern Gin mit Zitrone«, sagte sie trotzig. »Und du, Sibell?«
»Limonade, bitte.«
Die Getränke wurden auf einem Silbertablett mit feinster Leinendecke und winzigen Waffeln serviert. Sibell bedankte sich bei Tom Ling und nippte an der köstlichen Limonade, während Harriet den Gin in einem Zug hinunterkippte.
»Egal«, sagte sie traurig. »Falls William zurückkommt …«
»Was soll das heißen, falls? Ich habe dir gesagt, er wird auf jeden Fall kommen. Du bist nur niedergeschlagen.«
Harriet brach in Tränen aus. »Du verstehst es nicht. Du verstehst es einfach nicht.«
»Was verstehe ich nicht?«
»Lass mich, um Gottes willen, mir ist schlecht. Ich werde mich besser hinlegen.«
»Ja, das ist eine gute Idee.«
Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, ging Sibell die Unterhaltung im Geiste noch einmal durch. Sie wünschte, sie hätte Harriet nicht unterbrochen, als diese über Williams eventuelle Rückkehr sprach.
Was hatte sie im Kopf? Was wollte sie tun, wenn ihr Mann wieder da war? Vielleicht war es besser, es nicht zu wissen, da es nicht allzu fröhlich geklungen hatte. Was ging in diesem Haus tatsächlich vor?
Als Nächstes musste sie gegen Lucys schlechte Laune kämpfen. Sie stritt gerade mit Maudie über Christy Cornford.
»Er ist wirklich reizend, Mutter, und so nett zu mir. Und er sieht so gut aus!«
»Sie hat sich in diesen Gecken verliebt«, knurrte Maudie. »Ich sage ihr die ganze Zeit, dass sie Myles damit nur eins auswischen will. Sie soll die Sache nicht so ernst nehmen.«
»Wie kannst du es wagen, ihn als Gecken zu bezeichnen?«, rief Lucy entrüstet. »Er ist ein Gentleman. Aber das würdest du ja nicht einmal dann erkennen, wenn er über deine Füße stolpern würde.«
»Da hast du es, Sibell«, erregte sich Maudie. »Hör dir das an. Wenn du sie nicht zur
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