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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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den Schlaf.
    Am nächsten Morgen weckte mich kicherndes Gelächter – und zwar dicht neben mir. Ich schlug die Augen auf und stellte fest, dass noch andere mein ruhiges Plätzchen gefunden hatten. Zwei jüngere Mädchen, die auf ihren Schlafsäcken hockten und sich gegenseitig ihre langen Zöpfe flochten.
    Als ich mich zur anderen Seite drehte, lag da noch Neils Matte mit seinem Schlafsack. Er hatte wieder neben mir geschlafen. Würde er mir immer noch grollen, hätte er das sicher nicht getan.
    Während des Frühstücks im Speisesaal der Gemeinderäume, erzählte Lone Bullhead, dass nach Sitting Bulls Tod einige seiner Anhänger, eine Gruppe von rund vierzig Hunkpapa-Lakota, Hals über Kopf aus dem Lager geflohen waren und sich auf den Weg nach Süden gemacht hatten, wo sie in einem Indianerdorf in der Nähe von Cherry Creek Aufnahme zu finden hofften.
    Â»Der Tag heute wird ihnen gewidmet sein«, sagte Bullhead. »Wir werden uns auf den Spuren von Sitting Bulls Leuten nach Süden bewegen und ihre Geister werden bei uns sein und über uns wachen. Aho.«
    Draußen war es 10 Grad unter null, ein ganzes Stück kälter als am gestrigen Morgen. Und durch den kalten Wind, der in der Nacht aufgekommen war, fühlte es sich wie minus 40 Grad an.
    John Knife, Lone Bullhead, Neils Vater und einige der anderen verantwortlichen Männer und Frauen diskutierten darüber, ob man besser abwarten sollte, bis sich die Luft ein wenig erwärmt hatte, und erst am Nachmittag starten sollte. Aber dann stiegen immer mehr Reiter in ihre dicken Stepphosen, zogen ihre bunten Daunenjacken an und machten sich auf den Weg zum Korral, wo die Pferde standen.
    Kaum jemand wollte bis zum Nachmittag warten, und wer Zweifel hatte, schloss sich nach einigem Zögern doch den anderen an. Wir wollten nicht kneifen, nicht kapitulieren vor dem Wetter. Unsere Vorfahren hatten vor mehr als hundert Jahren nicht nur mit dem kalten Wind zu kämpfen gehabt, sondern auch mit dem Hunger und der Angst.
    So wurden die Ponys, Quarterhorses und Appaloosas gezäumt und gesattelt, um zur nächsten Etappe aufzubrechen.
    Nachdem John Knife jedes Pferd und jeden Reiter mit Salbei beräuchert hatte, sagte er: »Ich sehe, dass der kalte Wind euch zu schaffen macht und dass einige von euch Bedenken haben, ob wir bei dieser Witterung reiten sollen. Denkt einfach daran, dass die fliehenden Menschen damals nur Decken hatten, um sich vor Wind und eisiger Kälte zu schützen, und keine dicken Daunenjacken. Einige von ihnen besaßen nicht mal ein Pferd und mussten den Weg zu Fuß bewältigen.«
    Nachdem Knife noch ein Gebet auf Lakota gesprochen hatte, machten wir uns am späten Vormittag auf den Weg von Timber Lake zur Bill Opp Ranch, die sich rund zwanzig Meilen weiter südlich befand. Auf der Ranch würden Reiter und Pferde Aufnahme für die kommende Nacht finden.
    Nach den ersten Meilen wusste ich, wovon John Knife gesprochen hatte. Eisiger Wind peitschte meine Wangen, und ich zog meine Kapuze so fest zu, dass nur meine Nase herausschaute und ich kaum noch etwas sehen konnte. Einige der Reiter trugen wollene Gesichtsmasken, mit Öffnungen für Augen und Nase, die sie vor Erfrierungen schützen sollten.
    Um die Mittagszeit ließ der Wind etwas nach, aber nicht das taube Gefühl, dass ich in meinen Fingern und Zehen hatte. Endlich sah ich in der Ferne die Pferdewagen, Trucks und Wohnmobile der Helfer. Sie hatten ein Feuer entfacht, an dem wir unsere halb erfrorenen Gliedmaßen wärmen konnten. Es gab heiße Suppe und Pfefferminztee, der unsere müden Lebensgeister weckte.
    Neil, der bisher nur das Nötigste mit mir gesprochen hatte, trat neben mich ans Feuer und rieb seine Hände. »Ich habe nachgedacht«, sagte er. »Du hast Recht. Es ist dumm, jemanden dafür verantwortlich zu machen, was sein Urgroßvater getan hat.«
    Das klang ziemlich zerknirscht.
    Ich nickte. »Ich denke, Lone Bullhead meint es wirklich ernst mit der Versöhnung. Wie sollen wir unsere Kultur gegen die der Weißen behaupten, wenn wir untereinander nicht einmal einig sind und uns Dinge vorwerfen, die unsere Vorfahren getan haben. Wir waren nicht dabei, Neil«, sagte ich. »Was in den Geschichtsbüchern steht, haben Weiße aufgeschrieben. Wir wissen nicht, wie es wirklich war.«
    Neil hob die Schultern. Ich merkte, dass er nicht streiten wollte, aber klein beigeben

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