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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Mut, ihre Hoffnung. Und plötzlich sah ich sie. Eine junge Frau im Hirschlederkleid, auf dessen blau gefärbtem Brustteil gelbe Sterne prangten. Sie hatte lange Zöpfe, die hüpften, wenn sie tanzte.
    Und als ich in ihr Gesicht sah, erkannte ich – mich.
    Ich schreckte auf und stieß einen ungläubigen Laut aus. Das Feuer war heruntergebrannt, und es war kalt im Zelt. Alle schliefen, auch Neil – ganz dicht neben mir. Ich war jetzt eindeutig wach, hörte aber immer noch die Trommel und den leisen Gesang. Es musste weit nach Mitternacht sein, und ich fragte mich, wer um diese Zeit noch auf war. Leise schlüpfte ich aus meinem Schlafsack, arbeitete mich vorsichtig an zwei Schlafenden vorbei, die vor dem Eingang lagen und stieg nach draußen.
    Die Nacht war sternenklar und bitterkalt. Im Licht des Mondes sah ich meinen gefrorenen Atem. Nirgendwo brannte mehr ein Feuer, alle schliefen. Von der Koppel hörte ich das Schnauben der Pferde. Noch immer drangen Trommelklänge und Gesang an meine Ohren. Doch sosehr ich auch suchte und lauschte: Es war niemand da. Ich stand allein in der frostkalten Nacht.
    Â»Was ist denn los, Tally?«, fragte auf einmal jemand hinter mir. Es war Neil.
    Â»Ich weiß nicht«, stammelte ich und spürte tief in meinem Inneren, dass es besser war, zu flüstern. »Ich habe jemanden singen hören.«
    Â»Du hast jemanden singen hören?«, fragte er und sah mich ganz seltsam an.
    Â»Ja. Ich hörte eine Trommel, und jemand sang dazu. Vielleicht haben wir Gäste.«
    Neil breitete seine Arme aus. »Aber hier ist niemand. Alle schlafen.« Das stimmte. Doch die Tatsache, dass ich niemanden sah, konnte mich nicht davon überzeugen, dass da auch niemand war. Ich hatte die Trommel gehört, da war ich mir sicher. Großvater Emmet hatte mir von dieser Art Dunkelheit erzählt, in der man Dinge sah, die gar nicht da waren.
    Ich schluckte. »Ich habe mich im Traum gesehen, Neil. Ich trug ein blau gefärbtes Hemd mit gelben Sternen und tanzte auf der Stelle an einem großen Feuer. Es war hier, an diesem Ort. Und ich habe diesen Traum nicht zum ersten Mal geträumt. Er war der Grund, warum ich unbedingt dabei sein wollte auf dem Ritt.«
    Neil schwieg. Ich wartete, und die Kälte begann mir unter die Kleider zu kriechen. Auf einmal redete er. »Cherry Creek ist ein alter Geistertanzplatz, Tally. Und genau hier trafen die Flüchtenden aus Standing Rock auf Häuptling Big Foot und seine Leute. Sie waren auf dem Weg nach Fort Bennett, um dort ihre Nahrungsrationen abzuholen und Decken für den Winter.
    Als Big Foot von Sitting Bulls Tod hörte, glaubte er die Familien, für die er verantwortlich war, in Gefahr vor den Soldaten. Er entschied, nicht ins Fort zu gehen, sondern den Weg nach Pine Ridge zu nehmen und Häuptling Red Cloud um Aufnahme in seiner Agentur zu bitten.
    Du hast mir doch erzählt, deine Urgroßmutter wäre mit ihren Eltern unter Big Foots Leuten gewesen.«
    Â»Ja. Ihre Eltern starben in Wounded Knee, aber meine Urgroßmutter Helen Yellow Bird überlebte.«
    Â»Vielleicht war sie hier gewesen«, sagte er. »Vielleicht wollte sie dir etwas sagen.« Wir standen nebeneinander in der Nacht, und er legte seinen Arm um mich. »Du musst keine Angst haben. Viele von uns haben auf dem Ritt merkwürdige Begegnungen, Tally. Es sind die Geister unserer Vorfahren, die uns begleiten. Es ist in Ordnung.«
    Ja, vielleicht war es das. Mein Traum hatte mich hierher geführt. Es war ein machtvoller Ort, und vielleicht war ich hier den Geistern meiner Vorfahren begegnet. Vielleicht hatte ich sie singen gehört.
    Â»Lass uns wieder schlafen gehen«, sagte Neil.
    Â»Es ist kalt.« Wir gingen zurück zum Zelt, und bei jedem Atemzug spürte ich die kalte Luft in meinen Lungen.
    In Gedanken war ich bei meinem Traum am nächsten Morgen, während um mich herum Schlafsäcke zusammengepackt und Schlafmatten eingerollt wurden. Draußen hörte ich aufgeregte Stimmen, die durcheinander schrien.
    Â»Ich gehe mal nachsehen, was los ist«, sagte Neil, der seine Sachen schon zusammengepackt hatte.
    Ich zog mich an und verließ nach ihm das Tipi. Draußen herrschte heilloses Durcheinander. Vermutlich hatte am Abend jemand die Koppel nicht richtig verschlossen und die Pferde waren davongelaufen. Sie waren überall verstreut und mussten nun erst mühsam wieder eingefangen

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